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Emilia - Herzbeben

Emilia - Herzbeben

Titel: Emilia - Herzbeben
Autoren: Nina Nell
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Eigentlich war es nichts Ungewöhnliches. Sie war immer nervös vor einem Umzug. Aber dieses Mal war es schlimmer. Viel schlimmer. »Er wollte dich nicht wecken«, fuhr sie fort. »Du hast so fest geschlafen.« Dann zog sie hinter der Küchentür etwas hervor und reichte es Mia. »Aber ich soll dir das hier von ihm geben.«
    Mias Augen leuchteten auf, als sie das Päckchen an sich nahm. Es war in rotes Geschenkpapier eingewickelt. »Wofür?«, fragte sie überrascht.
    »Weil er an deinem Geburtstag nicht da sein kann«, erklärte Anna mit einem entschuldigenden Gesichtsausdruck.
    Mia senkte traurig den Blick und strich über das Papier. »Können«, sagte sie vorsichtig, »wir nicht vielleicht … doch noch warten?« Sie sah flehend zu ihr auf, doch ihre Mutter reagierte sofort mit Abwehr. Das erkannte sie an ihrem Gesichtsausdruck. »Ich meine«, sagte Mia schnell, »wir müssen doch nicht sofort weg, oder? Was machen denn zwei Wochen für einen Unterschied? Außerdem sind wir noch nie mitten im Schuljahr umgezogen.« Es machte ihr Angst. Es war schon schlimm genug, sich zu jedem neuen Schuljahr an eine neue Schule und eine neue Umgebung zu gewöhnen, aber mitten drin … Das war einfach nicht fair.
    »Mia«, seufzte Anna und massierte entnervt ihre Nasenwurzel. »Das haben wir doch schon hundert Mal besprochen. Du kannst nicht mehr auf dieser Schule bleiben. Sie ist geschlossen. Wir müssen umziehen.«
    Mia seufzte und stocherte mit der Gabel im Käse herum. »Esgibt ja immer einen Grund«, murmelte sie leise und erwartete schon das Donnerwetter, das nun folgte.
    »Ja, und es waren immer triftige Gründe, Mia! Wir machen das nicht zum Spaß. Es wäre schön, wenn du …«
    »… wenn ich einfach den Mund halte und mitspiele«, führte sie ihren Satz seufzend zu Ende.
    Anna sah ihre Tochter gequält an. Es sah fast so aus, als würde sie sagen wollen, dass sie nichts dafür konnte. Und wahrscheinlich konnte sie auch nichts dafür. Vielleicht war es wirklich Zufall, dass jedes Jahr irgendetwas passierte, das sie zwang umzuziehen. Jedes Jahr zur selben Zeit! Ob es ihr Vater war, der in einer anderen Stadt arbeiten musste oder ihre Mutter, die einen Job bei einer anderen Zeitung bekommen hatte, die ihren Sitz natürlich auf der anderen Seite der Welt hatte, ob sie es war, die wieder einmal von der Schule geflogen war, weil sie einfach vom Pech verfolgt wurde oder eben ein Unwetter, das die Schule zerstört hatte. Irgendetwas war immer. Doch jedes Mal, wenn sie diese ungewöhnlichen Zufälle auch nur andeutete, flippte ihre Mutter halb aus. Vielleicht lag es an ihrer Angststörung, dachte sich Mia. Sie litt schon darunter, seit sie denken konnte. Diese Umzüge machten ihrer Mutter oft mehr zu schaffen, als ihr. Wenn das überhaupt möglich war.
    Als plötzlich Annas Handy klingelte, verdrehte Mia unbemerkt die Augen, seufzte resignierend und nahm einen Schluck Orangensaft, während sie dem Gespräch ihrer Mutter lauschte. Sie sprach mit Mias Vater. Sie hörte seine Stimme durch das Telefon. Er klang seltsam. Laut und besorgt. Mia lehnte sich zur Seite und lugte an der Tür vorbei. Ihre Mutter lief nervös im Flur auf und ab und verschwand im Wohnzimmer, als sie Mia bemerkte. Dann fing sie an zu flüstern.
    » … sicher? Bist du ganz sicher, dass …?«
    Mia hörte nur Bruchstücke. Doch sie klangen viel zu aufgewühlt und ängstlich. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Sie stand auf und ging in den Flur. Sie tat so, als würde sie auf die Toilette gehen wollen, öffnete die Toilettentür im Flur und schloss sie wieder. Dann schlich sie langsam zur Wohnzimmertür und blieb lauschend stehen.
    »Wo ist er? Ist er in der Nähe? Ist er …?«
    Einen kurzen Moment lang war es still.
    »Ich weiß, dass er immer da ist. Ist er jetzt da? Passt er …«
    Mia wurde kurz von einem raschelnden Geräusch abgelenkt. Als sie einen Blick in die Küche warf, sah sie einige Papiere auf dem Boden liegen, die vom Küchentisch gefallen waren. Sie sah sie stirnrunzelnd an und bemerkte im selben Moment, dass es merkwürdig dunkel in der Küche war. Jetzt hörte sie das Fenster knarren. Ein Windstoß kam herein und blies weitere Papiere vom Tisch. Mia hörte dem Gespräch nur noch beiläufig zu. Sie ging langsam in die Küche und sah aus dem Fenster. Der Himmel verdunkelte sich und der Wind bog die Bäume zur Seite, als bestünden sie aus Gummi. Er pfiff gefährlich um die Häuser und erinnerte Mia sofort an ihren letzten Schultag. Es ging schon
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