Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Elsa ungeheuer (German Edition)

Elsa ungeheuer (German Edition)

Titel: Elsa ungeheuer (German Edition)
Autoren: Astrid Rosenfeld
Vom Netzwerk:
Wirtin und wischte sich die Hand an der Schürze ab.
    »Was gehört, Frau Wiesinger?«
    »Mathilde ist hier.«
    »Wo?«, fragten wir drei wie aus einem Mund.
    »Bei den Gröhlers.«
    »Hat sie den Schweizer verlassen?«
    »Herr Murmelstein, wo denken Sie denn hin? Nein, ganz im Gegenteil. Viktor und Mathilde wollen um die Welt segeln. Es geht um das Kind, es wird bei Hubertus und Gustav bleiben. Was soll denn die kleine Elsa auch auf so einem Schiff? Sie werden lange unterwegs sein… ein Jahr, vielleicht zwei.«
    Wir gaben unsere Bestellung auf.
    »Guten Abend. Darf ich?« Doktor Grievenhast deutete auf den freien Stuhl.
    »Natürlich, Doktor.«
    »Haben Sie es schon gehört?«
    »Mathilde?«
    Grievenhast nickte. »Damit wären wir beide die einzigen Männer in diesem Raum, die nichts zu befürchten haben, Murmelstein.«
    »So? Was meinen Sie damit?«
    »Elsa… Wenn das Mädchen rote Haare hat, weiß doch jeder sofort, wer der Vater ist.« Sein Blick schweifte zu dem rothaarigen Schuster und Sattelmacher Fred Nesshauer. »Oder eine Hakennase wie unser Bäcker oder ein grünes und ein braunes Auge wie der Michi.«
    Das Murmeltier legte seine Stirn in Falten. »Alle hier?«
    Der Doktor lächelte böse. »Sie kannten unsere Mathilde nicht.«
    »Nein, nur flüchtig. Ein paar Tage nach meiner Ankunft fuhr sie ja schon mit dem Schweizer davon.« Das Murmeltier besah sich die jugendliche Mathilde, die, eine schwarze Katze im Arm wiegend, über ihm hing. »Und Sie? Sie haben der Versuchung widerstanden?«
    »Natürlich«, sagte Grievenhast ernst.
    »Gut für Sie… Oder auch nicht gut für Sie. Wer weiß, was Ihnen entgangen ist.«
    »Was wiegt vergangenes Entgangenes gegen einen gegenwärtigen ruhigen Pulsschlag? Wenigstens muss ich mir jetzt nicht die Hosen vollmachen wie alle anderen hier. Außer Ihnen, Murmelstein.«
    »Vergessen Sie den Pfarrer nicht… Mit ihm dürften wir immerhin drei furchtlose Männer sein.«
    »Sie kannten unsere Mathilde nicht«, wiederholte der Doktor.
    »Ich fürchte mich auch nicht«, sagte Lorenz. »Warum soll ich vor einem Mädchen Schiss haben?«
    Der Doktor lachte. »Natürlich, und dein Bruder sicher auch nicht.«
    Ich schwieg. Ich war mir da nicht so sicher, wenn selbst der Schuster und der Bäcker Angst hatten.
    Frau Wiesinger kam mit unseren Getränken. »Seit zehn Jahren habe ich Mathilde und meine Enkeltochter nicht gesehen, und jetzt kommen sie auch noch zu spät. Sie sollten schon längst hier sein.« Die Wirtin knallte die Gläser auf den Tisch. Meine Cola schwappte über.
    Dann ging die Tür auf. Gustav Gröhler stand im Raum. Den linken Arm in die Höhe gereckt, ein blutgetränktes Taschentuch um die Hand gewickelt. Schlagartig verstummten alle Gespräche.
    »Grievenhast«, rief Gustav und steuerte auf unseren Tisch zu.
    Zwei Blutperlen tropften in die Cola-Pfütze.
    »Was ist denn passiert? Versuchen Sie, Wölfe zu zähmen?«, fragte der Doktor und besah sich die Fleischwunde.
    »Wölfe? Nein. Das war Elsa.«
    Ein Schauer durchfuhr meinen Körper. Elsa. Man fürchtete sie also zu Recht. Ich sah Lorenz an, auch er schien beeindruckt zu sein.
    Gustav Gröhler, der Bruder unseres Schuldirektors Hubertus Gröhler, war nicht irgendein Mann, er war Sportlehrer am städtischen Gymnasium und Marathonläufer. Muskulös und verdammt schnell.
    »Und wo ist meine Tochter?«, fragte die alte Wiesinger aufgebracht.
    »Mathilde und Hubertus versuchen, das Ungeheuer aus dem Badezimmer zu locken. Sie hat die Tür verriegelt.«
    Während sich immer mehr Menschen um unseren Tisch drängten, entstand vor meinen Augen das Bild des Mädchens, das Gustav Gröhlers Hand zerfetzt hatte: Ihre Eckzähne waren spitz, in den Mundwinkeln klebte Blut. Sie war noch schöner als ihre Mutter. Eine Mischung aus Catwoman, Poison Ivy und ein paar namenlosen Vampirinnen. Sie schlief in Baumkronen und ernährte sich von Hühnern, denen sie bei lebendigem Leibe die Köpfe abriss. Elsa, das Ungeheuer. Lorenz und mich ernannte sie zu ihren Gefährten, und wir drei lebten glücklich zusammen bis ans Ende unserer Tage.
    »Dann werde ich jetzt hingehen«, sagte die Wirtin und zitierte ihren Mann aus der Küche. Er nahm den Befehl – kochen und servieren, bis sie wieder da sei – mit einem Kopfnicken entgegen.
    Wir alle warteten vergeblich. Weder die alte Wiesinger noch Mathilde noch Elsa tauchten auf. Kurz vor Mitternacht läutete der Wirt die letzte Runde und machte dicht.
    Es war die erste Nacht seit Hannas Sprung,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher