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Ellorans Traum

Ellorans Traum

Titel: Ellorans Traum
Autoren: Frances G. Hill
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Überfluß auch noch eine gesalzene Strafpredigt, weil ich meine arme Mutter derart aufgeregt hätte. Schlaflos lag ich da, am hellichten Tag und mit brennender Wange und knurrendem Magen – natürlich war ich ohne Abendessen ins Bett geschickt worden –, und mehr als das körperliche Ungemach brannte in mir die Frage, was ich Schlimmes verbrochen hatte, daß meine Mutter so böse auf mich war. Was mochte das nur Schreckliches sein, ein T'svera? Hatte es damit zu tun, daß ich ganz offensichtlich nicht so war wie die anderen Jungen? Ich glich keinem von ihnen, nicht einmal dem zierlichen kleinen Karel, und ich schämte mich, auch nur darüber nachzudenken, was diese auffällige Andersartigkeit zu bedeuten hatte.
    Glücklicherweise fanden die Jungen nach einigen Tagen ein anderes Opfer und hörten auf, mir das Spottwort nachzurufen, sobald sie mich nur zu Gesicht bekamen. Die Zweifel wegen meiner Andersartigkeit drängte ich zurück und vergrub sie tief in meinem Innersten. Ich wagte nicht mehr, jemanden danach zu fragen, aus Angst, damit erneut diesen erschreckenden Abscheu und Zorn hervorzurufen.
    Eines Morgens hielt mich meine Mutter am Ärmel fest, als ich gerade zur Tür hinauswischen wollte.
    »Komm bitte nachher gleich zu mir, ich habe mit dir zu reden.« Ich nickte; ungeduldig, weil ich nicht zu spät zum Unterricht kommen wollte, aber auch neugierig, was sie mir zu sagen hatte.
    Nach der Übungsstunde stürmte ich mit vom Brunnenwasser noch feuchten Haaren in ihre Kemenate und stellte mich erwartungsvoll vor ihr auf. Sie saß in der üppig gepolsterten Fensternische und bestickte ein zartes Tuch mit kostbarem Goldfaden. Ich konnte mich kaum sattsehen an ihr: die zierliche Figur, ihr ovales, blasses, von schweren roten Haarflechten umrahmtes Gesicht, die schlanken Finger, die die glänzenden Fäden geschickt durch das Gespinst zogen. Meine Mutter war sicher die schönste Frau der Welt!
    Als hätte sie meine Gedanken gehört, blickte sie auf und lächelte mich zärtlich an. Ich lehnte mich an ihr Knie und ließ es zu, daß sie mich auf die Wange küßte.
    »Macht dir der Unterricht bei Nikal Freude?« fragte sie. Ich nickte heftig. Sie glättete mit den Fingern mein wirres Haar. »Ich habe mir etwas für dich überlegt, das dir sicherlich genauso gefallen wird.« Ihre grünen Augen blitzten vergnügt. »Der Enkel der Herrin von Kerel Nor sollte nicht wie ein ungebildeter Bauerntölpel aufwachsen. Julian ist ebenfalls bereit, dich zu unterrichten. Du wirst sehen, das Lesen zu lernen wird dir gefallen.«
    Es verschlug mir den Atem vor Aufregung. Zu dem Magier hinauf in sein geheimnisvolles Turmzimmer, das nie jemand außer ihm betrat!
    Malima, im Winkel sitzend und damit beschäftigt, Wäschestücke zu flicken, schnitt eine verdrießliche Miene. Ihr Mißtrauen Zauberern und Hexerei gegenüber war allen in der Burg bekannt, und Fertigkeiten wie Lesen und Schreiben schienen der alten Amme nicht minder hexerische Betätigungen. Es war nur zu deutlich, daß sie die Entscheidung meiner Mutter zutiefst mißbilligte. Das konnte allerdings meine eigene Begeisterung nicht um einen Deut mindern.
    Also erklomm ich kurz darauf unter heftigem Herzklopfen die steile Holztreppe zu Julians Turmzimmer. Zaghaft pochte ich an die Tür. Drinnen hörte ich einen Raben krächzen. Nach einigen Sekunden schwang die schwere Tür auf, und ich trat ein. Die Tür schloß sich hinter mir, ohne daß jemand sie berührt hätte. Es war dämmrig in dem kleinen runden Gemach. Durch enge Fensterschlitze fielen schmale Streifen Sonnenlicht und malten Lichtpfeile auf den dunklen Holzboden. Mitten im Raum stand ein schwerer Tisch, daran ein zerschlissener Lehnstuhl. In die hofseitige Wand war ein Kamin eingelassen, ihm gegenüber die Bettnische, und überall im Raum lagen Bücher in Stapeln umher. Magramanir, Julians zahme Rabin, saß auf der Lehne des Stuhles und sah mich mit schiefgelegtem Kopf neugierig an. Ich hatte reichlich Muße, mir das alles anzusehen, denn mein Gastgeber und zukünftiger Lehrer war ganz offensichtlich nicht zu Hause.
    Endlich polterte es über meinem Kopf, und von der Wehrplatte des Turms stieg Julian über eine schmale Leiter hinunter in das Gemach. Er begrüßte mich freundlich und nahm einen Topf zur Hand.
    »Möchtest du Tee?« Er wartete meine Antwort nicht ab, sondern schöpfte zwei Becher voll. »Hier, nimm. Und setz dich.« Der Rabe Magramanir breitete mit einem Krächzen seine glänzenden Schwingen aus und flog
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