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Ellorans Traum

Ellorans Traum

Titel: Ellorans Traum
Autoren: Frances G. Hill
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schien.
    »Guten Tag, Elloran. Ich bin Nikal, der Kommandant der Wache.«
    Ich staunte ihn wortlos an. Seine hellen Augen blinzelten verschwörerisch, und er fragte: »Warum sitzt du hier und machst ein Gesicht, als hätten dich all deine Freunde verlassen? Bist du etwa von zu Hause ausgerissen und willst jetzt hinaus in die weite Welt?«
    Ich senkte beschämt den Kopf und murmelte, ich hätte mich nur verlaufen. Nikal schüttelte den Kopf. »Auf, mein Junge. Ich bringe dich zu deiner Mutter zurück.« Er reichte mir seine Hand und zog mich auf die Füße. Dann lachte er auf, packte mich mit festem Griff und schwang mich mühelos auf seine Schultern. Er trug mich durch die endlosen Gänge der Burg, ich spürte das Spiel der starken Muskeln in seinen Schultern und fühlte mich so geborgen wie in den Armen meiner Amme.
    Viel zu schnell hatte er mich über den Hof und die Treppe hinauf zu unseren Gemächern gebracht. Er klopfte an und wartete respektvoll, bis meine Mutter ihn eintreten hieß, dann hob er mich von seinen Schultern und setzte mich sanft auf dem Boden ab. Meine Mutter hatte keinen Blick für mich übrig, sie sah den Kommandanten an.
    »Danke, daß du uns den Kleinen zurückgebracht hast. Wir haben ihn eben erst vermißt.« Ihre Stimme klang beiläufig, aber ich hörte den Klang der Erregung, der darunter lag, und war mir sicher, daß auch Nikal ihn vernommen hatte. Er nickte nur schweigend und blickte meine Mutter starr an, als warte er auf ein Zeichen von ihr. Sie wandte sich ab und trat zur Tür, die in das angrenzende Gemach führte. Dort rief sie nach Malima, die auch sofort kam, aufgeregt die Hände ringend. Sie stürzte sich auf mich, mich gleichzeitig scheltend und abküssend. Ich ließ beides über mich ergehen, ohne meine Augen von Nikal zu wenden. Malima schob mich mit fester Hand ins Nebenzimmer, immer noch schimpfend. Ich entwischte ihr und lief zurück zu dem großen Soldaten. Der sah mit einem schwer zu deutenden Ausdruck im Gesicht auf mich herab.
    »Darf ich ... Kommst du ...«, stotterte ich aufgeregt, gepeinigt von der undeutlichen Angst, ihn womöglich nicht wiederzusehen. Er hob mich hoch und drückte mich kurz und fest an sich, ehe er mich sanft wieder absetzte und mir einen Klaps auf den Po gab.
    »Wenn deine Eltern es erlauben, werde ich dich unterrichten«, gab er zur Antwort. Ich warf meiner Mutter einen flehenden Blick zu.
    Sie zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. »Das soll dein Vater entscheiden. Malima, bring ihn zu Bett.«
    Meine Amme griff mit geübter Hand zu, und dieses Mal konnte ich mich nicht loswinden. Malima schob mich zur Tür hinaus, ohne auf meinen Protest zu achten, und steckte mich ins Bett.
    Mein Vater erklärte sich damit einverstanden, daß sein Kommandant meine Ausbildung übernehmen sollte, und gab Nikal die Anweisung, mich im Waffengebrauch zu unterweisen. In der Viertwoche nach meinem sechsten Geburtstag stand Nikal frühmorgens in der Tür der Kemenate. Sein breiter Mund verzog sich zu einem Lächeln, als er meinen Freudenschrei vernahm, sodann verneigte er sich formvollendet vor meiner Mutter und erbat ihre Erlaubnis, mich zu meiner ersten Übungsstunde in den Waffenhof mitzunehmen.
    Der Waffenhof, zwischen Eckturm und Torhaus, lag leer vor uns in der blassen Frühlingssonne. Nikal hob mich über die hölzerne Umzäunung und zeigte mir einige Übungen, die meine ungeübten Glieder dehnen und erwärmen sollten. Ich geriet trotz der Kühle der Luft schnell ins Schwitzen, aber es machte mir gehörigen Spaß. Nikal hatte sich inzwischen seines Hemdes entledigt, und ich konnte das Spiel seiner Muskeln bewundern. Seine breite Brust und die starken Arme waren mit zahllosen Narben bedeckt, die ein deutliches Zeugnis von der gefahrvollen und blutigen Vergangenheit des ehemaligen Söldners ablegten.
    Er beendete seine Übung mit einer Schulterrolle, kam in einer fließenden Bewegung wieder auf die Füße und grinste mir zu. Einem Gestell am Eingang des Hofes entnahm er zwei stumpfe Übungsschwerter, eines davon offensichtlich für die kleineren Hände eines Knaben gedacht. Dieses warf er mir zu, und ich fing es ungeschickt auf. Er zeigte mir, wie ich es zu halten hatte und dann die korrekte Körperhaltung sowie eine Bewegungsfolge aus Schritt und Ausfall, die ich wieder und wieder ausführen mußte, bis er einigermaßen zufrieden damit schien. Bald war ich atemlos und schweißüberströmt, und meine Muskeln protestierten heftig gegen die ungewohnte
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