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Elidar (German Edition)

Elidar (German Edition)

Titel: Elidar (German Edition)
Autoren: Susanne Gerdom
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wurde ernst. »Der Magister wünscht, dass wir gleich aufbrechen. Ich habe ein Haus in der Nähe des Basars aufgetan, das möglicherweise zum Verkauf steht.«

    Der Hafen stank immer noch nach Fisch. Tajo schob sich an dem zerfallenden Gerippe eines Bootes vorbei. Ein kräftiger Wind blies über das Hafenbecken und trug feinen Sand mit sich, der sich kitzelnd auf ihre Haut legte.
    Massuf lebte in einem der Schiffe, die wie gestrandete Wale auf dem trockenen Boden des Hafenbeckens lagen. Tajo rief seinen Namen und hockte sich dann auf die zerfallende Kaimauer.
    Nach einer Weile erklang ein Poltern aus dem Bauch des Schiffes, und ein mürrisches Gesicht lugte durch ein Loch in der Seite. »Du bist es. Was willst du schon wieder? Na meinetwegen, komm rein.«
    Tajo kletterte die Kaimauer hinab und erklomm flink die Strickleiter, die der Mann ihr hinuntergelassen hatte.

    Im Inneren des Wracks roch es nach brackigem Wasser, obwohl das Meer sich schon vor Jahrzehnten von dieser Küste zurückgezogen hatte. Durch die löchrigen Planken fiel diffuses Sonnenlicht. Tajo ließ ihren Augen einen Moment Zeit, sich an die veränderten Lichtverhältnisse anzupassen. Die Geräusche, die sie vernahm, ein blechernes Klappern, das Plätschern von Wasser und das leise Knistern, mit dem ein Feuer entzündet wurde, deuteten darauf hin, dass der alte Massuf ihr die unverhoffte Ehre eines Bechers Cha’fai erweisen wollte.
    Sie kauerte mit untergeschlagenen Beinen auf einem Kissen nieder, das wie alles hier leichten Modergeruch ausströmte, und nahm mit einen Nicken den Tonbecher entgegen, den Massuf ihr hinhielt. Sie trank einen Schluck und seufzte vor Behagen. Er hatte ein Stück Tsha-Butter hineingetan, das dem bitteren Cha’fai ein nussiges Aroma verlieh.
    Der alte Yasemit trank schmatzend seinen Becher leer und schenkte sich aus der Kanne nach. Seine knorrige Gestalt steckte in einem langen, hemdähnlichen Gewand, unter dem krummzehige Füße hervorsahen.
    »Was hast du für mich?«, fragte Massuf. Tajo kramte die ärmliche Börse hervor. Massuf drehte das schäbige Lederding in den Fingern, öffnete es und blickte hinein. »Das meinst du nicht ernst.«
    »Massuf, ich brauche Geld!« Tajo bemühte sich darum, nicht so verzweifelt zu klingen, wie sie sich fühlte.
    Der Alte warf ihr die Börse hin. »Das hier ist nichts, du weißt das. Bringe mir etwas von Wert, und du bekommst Geld von mir. Ich habe nichts zu verschenken.«
    »Massuf!« Er schüttelte den Kopf. Tajo hob die Börse auf, wollte sie durch eine der Öffnungen im Schiffsrumpf nach draußen schleudern, überlegte es sich jedoch anders und steckte sie wieder ein. Sie stand auf, dankte Massuf für den Cha’fai und bahnte sich den Weg durch all das Gerümpel, das den Bauch des Wracks füllte, nach draußen.
    Eine Weile wanderte sie ziellos durch das staubige Hafenbecken, umrundete die Schiffe, die dort langsam vor sich hinrotteten und blickte hinaus auf die zerklüftete Wüstenei, die einmal der Grund des Meeres gewesen war. Sie hatte sich schon als Kind vorgestellt, eines Tages einfach hinauszuwandern, immer geradeaus, bis sie das verschwundene Meer finden würde.
    Tajo drehte sich um und sah am Kai empor. In den Rissen der zerfallenden Mauer wuchsen kleine Bäume und Sträucher, und in den größeren Nischen lebten Menschen. Kinder, um genau zu sein. Die Hafenkinder lebten von der Hinterlassenschaft des Meeres, von dem, was sie in versunkenen Schiffen fanden und Leuten wie Massuf verkaufen konnten. Es war eine karge, traurige Ausbeute, viel zu wenig für viel zu viele. Es war gut, dass sie den Hafen verlassen hatte. Auch wenn das neue Probleme mit sich brachte.
    Sie kletterte die Mauer wieder hinauf, vorbei an Höhlen, in denen kleine Feuer brannten. Misstrauische Blicke folgten ihr, als sie sich auf den Rand des Kais schwang. Unschlüssig stand sie eine Weile da und sah sich um, dann steuerte sie auf eine Hütte zu, die windschief an der Hafenmauer lehnte. Aus ihrer Tür strömten verlockende Düfte, die Tajo das Wasser im Munde zusammenlaufen ließen. Die armseligen Münzen in der gestohlenen Börse hatten für einen kleinen Imbiss gereicht, der kaum dazu gedient hatte, den ärgsten Hunger zu stillen, und Massufs Cha’fai war das Einzige, was sie seit beinahe zwei Tagen in den Magen bekommen hatte.
    Die Garküche gehörte einer Frau, die noch nie in ihrem Leben eine Mahlzeit verschenkt hatte, und nie eine Portion aus Mitgefühl etwas größer ausfallen ließ.
    Tajo
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