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Elfenschwestern

Elfenschwestern

Titel: Elfenschwestern
Autoren: Ravensburger
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Sorte.
    Wieso?, dachte Lily. Mich muss sie so anschauen. Mit mir muss sie sich so verständigen. Er ist ein Fremder. Na gut, ihr Student, wie es aussieht. Aber allerhöchstens sollte sie sagen können, wie er seine Essays formuliert oder ob er zu ihren Vorlesungen pünktlich ist. Sonst nichts.
    „Wir gehen“, sagte Kate fest.
    „Wegen der Glühwürmchen?“ Gray fragte es fast flehend.
    Kate antwortete nicht. „Kommt herunter vom Eis“, sagte sie nur. „Sofort, Gray.“
    Grays Augen flackerten. Dann streckte er das Kinn vor. Lily kannte die Anzeichen, ihr Bruder schaltete jetzt auf stur. Das konnte er genauso gut wie Rose.
    „Nein! Du bist nicht eine einzige Runde mit uns gelaufen.“
    „Grayson Fairchild! Wenn Lily einen Unfall gehabt hat, sollte sie nicht hier sein. Dann sollte sie sich ausruhen und nicht eislaufen.“
    Gray blickte Lily ängstlich an. „Geht’s dir schlecht?“
    „Nein!“ Lily zog ihn zu sich heran, schlang ihm einen Arm um den Nacken und vergrub ihr Gesicht halb im Pelzrand seiner Kapuze, halb in seinem irgendwie immer nach Sommer am Meer duftenden Lockenhaar. „Mir geht’s prima“, flüsterte sie in sein Elfenohr. „Mach dir keine Sorgen.“
    Aber Gray machte sich jetzt Sorgen, das konnte Lily sehen. Er weigerte sich ihre Hand loszulassen, als sie ihre Schlittschuhe zurückgaben und im Gegenzug ihre Taschen wiederbekamen. Er blieb dicht an ihrer Seite, als sie Somerset House verließen, ein kleiner, unglücklicher Schatten in all der vorweihnachtlichen Lichterpracht Londons.
    Es war nicht der Abend, den Lily sich vorgestellt hatte. Und es war nicht der Abend, den Gray sich gewünscht hatte. Das erklärte er Kate immer und immer wieder, während sie zum Embankment hinunterstiegen. Die Themse lag schwarz und unbeteiligt vor ihnen. Kate hielt ein Taxi an.
    „Wir wollten Kinderpunsch trinken“, sagte Gray böse, als er auf die Rückbank krabbelte. „Und die Sternsinger vor der National Gallery hören. Und Geschenke kaufen! Vor allem eine Kugel aus dem Märchenbaum für Rose. Weil sie doch heute nicht dabei war.“
    „Grayson“, sagte Kate scharf, viel schärfer, als es sonst ihre Art war. „Nicht jetzt. Sei vernünftig.“
    Aber es war offensichtlich, dass Gray dieses eine Mal nicht vernünftig sein wollte. Er verfiel in düsteres Schweigen, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte aus dem Fenster.
    Lily war froh zu sitzen. Ja, sie bedauerte, dass ihr Eislauftag so eine unschöne Wendung genommen hatte. Aber gerade war sie einfach nur dankbar dafür, den Kopf zurücklehnen und die Augen schließen zu können.
    „Wie geht es dir?“, fragte Kate mit angespannter Stimme.
    „Gut“, sagte Lily, ohne die Augen zu öffnen.
    „Lily! Bist du sicher?“
    „Ganz sicher“, seufzte Lily. „Nichts gebrochen, alles okay.“
    „Gut.“ Kates Erleichterung war deutlich zu hören. „Dann nimmst du gleich noch eine Aspirin oder so und ruhst dich aus. Wir machen uns einen entspannten Abend. Hörst du, Gray?“
    Aber Gray knurrte nur wie ein kleiner wütender Löwe. Und als sie endlich Kates Dozentenwohnung auf dem Campus erreichten, trat Gray in Streik. Er weigerte sich, sein Lager auf dem walnussbraunen Ledersofa aufzuschlagen, obwohl er dort bei seinen Übernachtungsbesuchen immer schlief und es sonst auch liebte. In jede Menge Steppdecken und gestreifte Kissen gekuschelt, konnte Gray nämlich vom Sofa aus vor dem Einschlafen auf Kates altem Fernseher noch eine Richard-Attenborough-Tierdokumentation gucken. Und die drei hohen Fenster mit den Holzrahmen, von denen keines richtig schloss und die alle drei im Winter die Kälte hereinließen, gingen auf den gepflasterten Innenhof hinaus, den immer so viele interessante Studenten überquerten. Vor allem nachts, fand Gray.
    Doch gerade die Fenster schienen Gray heute nicht zu behagen. „Sie sind wie Augen“, fauchte er. Die kurze Lockenmähne stand um seinen Kopf wie gesträubtes Fell.
    „Wie Augen? Erklär mir das, Gray“, forderte Kate.
    Doch dieses Mal knurrte er nur, er wolle nach Hause.
    Lily verschwand in der kleinen Küche. Sie hätte ihrer Mutter beistehen können, aber sie wollte nicht. Ich bin wütend auf Mum, erkannte Lily, während sie dem Streit lauschte und den Kühlschrank öffnete. Dabei war Lily so gut wie nie wütend auf Kate.
    Warum also jetzt?, fragte sie sich verblüfft. Bewegungslos blieb sie vor dem offenen Kühlschrank stehen, starrte auf die halb leere Milch, den fettarmen Camembert und die Reste eines
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