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Elfenschwestern

Elfenschwestern

Titel: Elfenschwestern
Autoren: Ravensburger
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Pupillen sich verengten. Und sie sah zum ersten Mal, dass sein Stahlblick weich werden konnte.
    Er hatte eine hypnotische Wirkung auf Lily. Sie konnte kaum atmen, sich nicht bewegen. Bis er ganz langsam eine Hand hob und ihr die Haare aus dem Gesicht strich – hinter ihr spitzes Ohr.
    Da zuckte Lily zurück.
    „Es ist okay“, sagte Jolyon leise. „Ich weiß, was ihr seid.“
    Lily fühlte sich wie eine in die Enge getriebene Löwenmutter. Grayson lag zusammengekauert und mit gesträubtem Nackenhaar in ihren Armen. Lily wusste nicht, ob sie flüchten oder angreifen sollte. Sie wusste nur, sie würde kämpfen bis zum letzten Atemzug.
    „Es ist okay“, sagte Jolyon wieder, jetzt leicht alarmiert. „Ich bin doch wohl nicht der Erste, der euch als Fey erkennt.“
    Gray knurrte und Lily bleckte verzweifelt die Zähne.
    Seine Augen weiteten sich. „Bin ich doch? Das ist verrückt.“ Er schüttelte den Kopf. „Das kann nicht sein“, sagte er fast mehr zu sich selbst als zu ihnen. „Ich weiß, die Menschen sind blind, aber doch nicht so blind.“ Er sah Lily in die Augen. „Oder?“
    Lily schwieg.
    Er streckte ihr die Hände entgegen, diese großen, starken Hände, mit denen er sie der Todesgefahr aus dem Rachen gerissen hatte. Die leeren Handflächen bot er ihr dar.
    „Was kann ich tun?“, fragte er drängend. „Um dir zu beweisen, dass ich keine Gefahr für euch bin.“
    Lily wusste es nicht.
    „Was meinst du, warum ich nicht wollte, dass sie die Polizei rufen?“, redete er weiter. „Oder einen Krankenwagen? Ich wusste, es könnte riskant für dich werden, wenn sie dich untersuchen. Und ich wusste, es braucht mehr als so einen Unfall, um eine Fey schwer zu verletzen. Richtig?“
    Keine Ahnung, dachte Lily. Braucht es? Ich fühle mich schon mächtig angeschlagen.
    „Ich werde es niemandem erzählen“, sagte Jolyon ernst. „Und mal ganz ehrlich, Tigermädchen. Wer würde mir auch glauben?“
    Niemand, dachte Lily. Zunächst. Sie beobachtete ihn unter gesenkten Lidern hervor, während er geduldig auf ihr Urteil wartete. Sie sah kein Anzeichen für Verrat. Sie roch keine Lüge. Gut, er war der erste Mensch außer Rose, Mum, Granny und Gray, der sie als das erkannte, was sie war. Aber war das schlimm? Sie war sich nicht sicher. Die Existenz von Elfen schien keine Neuigkeit für ihn zu sein, ihn nicht in helle Aufregung zu versetzen. Im Gegenteil: Es hatte den Anschein, als wusste er mehr über das Volk der Fey als sie. Vielleicht mussten sie ihn nicht fürchten.
    Gray war wohl zu demselben Schluss gekommen. Er rutschte aus ihrer Umarmung auf seine eigenen Füße zurück. „So ist es besser für dich, oder Tiger?“, fragte er seine Schwester.
    „Ein bisschen vielleicht“, gestand Lily.
    Gray lehnte sich an ihren Sessel.
    „Nimm hübsche Pflaster“, sagte er zu Jolyon. „Wenn du welche findest.“
    Jolyon schaute in seiner Kiste nach. „Rot, blau, gelb oder grün?“
    „Gelb“, entschied Gray.
    „Alles klar.“
    Jolyon reinigte Lilys Handflächen und Knie. Er wickelte Mullbinden und klebte Pflaster. Er untersuchte mit sanften Fingern ihren Hinterkopf, mit dem sie auf das Pflaster geknallt war, und ließ sie zwei Aspirin gegen den pochenden Schmerz schlucken. Lily beobachtete seine Hände, während er arbeitete, bewunderte die kräftigen Gelenke und den leichten Olivton seiner Haut.
    Nur einmal verlor Lily fast die Fassung: Während sie sich über ihr linkes Knie beugten, streiften ihre wirren Locken seinen zerzausten Schopf. Und irgendwie fühlte es sich an, als lehnten sie sich beide für einen Moment absichtlich in diese Berührung. Ruckartig riss Lily den Kopf zurück.
    Jolyon aber wickelte unbeeindruckt die letzte Mullbinde um ihr Bein, vollendete sein Werk. Dann blickte er auf und sah ihr ohne eine Spur von Verlegenheit in die Augen. „So. Das war’s.“
    Lily drängte ihr Unbehagen beiseite. Sie musste noch etwas loswerden. „Danke“, sagte sie zu ihm. „Für alles. Ohne dich …“
    Er legte ihr zwei Finger auf die Lippen.
    Lily verstummte abrupt. Aber mehr, weil die Berührung sie sprachlos machte, als weil er es wollte.
    „Sprich es nicht aus“, bat er. „Ich bin abergläubisch.“
    „Tiiiger!“, stöhnte da Gray. „Sieh doch!“
    Lilys Kopf schnellte sofort herum. „Was?“
    Gray zeigte zum Zelteingang.
    Und dann sah sie es. Von Londons Himmel fiel Schnee. Dichte weiße Flocken sanken wie aus dem Nichts herab. Die ersten Schlittschuhläufer hoben die Gesichter und lachten,
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