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Elfenschwestern

Elfenschwestern

Titel: Elfenschwestern
Autoren: Ravensburger
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Mr Wilde also …“
    „Mum!“ Lily wurde es heiß. Und das lag nicht an dem Becher frisch aufgebrühtem Tee, an dem sie sich gerade die Hände wärmte. Solch ein Gespräch hatte sie noch nie mit ihrer Mutter geführt. Rose ja. Rose ständig. Aber sie? Kate mischte sich nie ungefragt in Lilys Angelegenheiten. Und jetzt saß sie Lily gegenüber am Küchentisch und wollte mit Lily so unbefangen über Jolyon plaudern wie sonst über das Schultheaterstück, den erfrorenen Rosenstock hinten im Garten oder die viel zu teuren Stiefel mit dem Keilabsatz, an die sie ihr Herz gehängt hatte.
    „Er hat doch nur … Er hat mir das Leben gerettet, Mum.“
    „Ja. Und dafür werde ich ihm ewig dankbar sein. Aber er ist Student. Er ist älter als du, Lily. Ein Erstsemester zwar, aber mindestens achtzehn.“
    Lily sah ihre Mutter schweigend an. Hob beide Augenbrauen. Sag es doch, forderte sie Kate stumm heraus. Du musst es schon sagen.
    Kate seufzte. Aber sie sagte nicht: „Du bist zu unerfahren für Jolyon Wilde.“ Sie sagte nicht: „Ein Jolyon Wilde gibt sich sicher nicht mit Händchenhalten zufrieden.“ Sie sagte stattdessen: „Ich will nur, dass du vorsichtig bist. Verlier nicht den Kopf.“
    Lily beschloss, diesen Einwurf ihrer Mutter zu ignorieren.
    „Wie kommst du überhaupt darauf, dass ich an deinem Mr Wilde interessiert sein könnte“, begann sie, stockte dann aber. Sie wusste ja, wie Kate darauf kam. Sie hatte gesehen, wie Lily in Jolyons Armen stand, ihre Hände auf seiner Brust, ihr Kopf seinem zugeneigt.
    Lily wurde bei der bloßen Erinnerung daran schamrot. Hatte sie das wirklich getan? Sie kannte diesen Jungen doch gar nicht! Tigerlily, du ähnelst Rose doch mehr, als du dachtest, sagte sie sich grimmig. Nein, korrigierte sie sich dann. Rose hätte er nicht einfach so stehenlassen. Rose hätte er seine Nummer gegeben oder sie nach ihrer gefragt. Rose hätte er um ein Wiedersehen gebeten. Selbst wenn ihre Mutter seine Professorin ist.
    Lily wurde bewusst, dass Kate, die Professorin, sie mit klugen, wenn auch müden Augen musterte. Gereizt stellte Lily ihren Becher auf den Küchentisch. Ein bisschen Tee schwappte über. Alles lief schief.
    „Wieso reden wir nicht lieber über Grays Glühwürmchen?“, wollte Lily wissen. Sie hörte selbst, wie böse sie klang. „Das ist doch wohl viel wichtiger als irgendein Student.“
    „Er ist nicht irgendein Student.“
    „Nein? Ist er ein ganz großartiger Student?“
    Kate schwieg. Ihre großen, braunen Augen, die sie an keines ihrer Kinder vererbt hatte, waren klein vor Erschöpfung. Die Fältchen in den Augenwinkeln wirkten tiefer als sonst. Lachfalten nannte Lily sie normalerweise aufmunternd. Kummerfalten, dachte sie jetzt. Und bekam ein schlechtes Gewissen. Sie wollte nicht mehr streiten.
    „Gray lügt nicht, Mum“, sagte sie ruhig. „Das weißt du doch.“
    Kate nickte.
    „Das bedeutet, wenn er sagt, er hat Glühwürmchen gesehen, dann hat er auch welche gesehen. Oder“, präzisierte Lily, „er hat etwas gesehen, von dem er denkt, dass es Glühwürmchen sind. Im Zug hat er sie auch schon erwähnt. Ich dachte, es seien Scheinwerfer gewesen. Vielleicht haben ihn die Scheinwerfer am Strand wieder daran erinnert.“
    Kate starrte sie an. „Er hat sie schon im Zug gesehen?“
    Lily nickte. Überrascht sah sie, dass Kate kalkweiß geworden war.
    „Lily“, sagte Kate fordernd. „Was ist am Strand passiert?“
    Lily hob die Achseln. „Es herrschte einfach ein fürchterliches Gedränge. Es war Pech, dass ich ganz vorne stand, direkt am Straßenrand. Als die Menge von hinten so nachschob, wurde ich einfach auf die Fahrbahn geschubst.“
    Kate schwieg einen Moment. „Also hat dich wirklich jemand gestoßen.“
    Wenn man es so sagte, klang es schlimm. „Nicht absichtlich“, sagte Lily. „Denke ich.“
    „Nein“, sagte Kate langsam. „Natürlich nicht.“
    Aber Lily hatte plötzlich Zweifel, ob ihre Mutter glaubte, was sie da sagte.
    Kate stand auf, nahm die beiden Schüsseln vom Tisch, aus denen sie ihr Abendessen, Müsli mit Apfelschnitzen, gelöffelt hatten, und stellte sie in die Spüle. Den Rücken Lily zugewandt, stand sie eine Weile still und stumm.
    „Mum?“, fragte Lily schließlich.
    Kate fuhr zusammen. „Tut mir leid. Hast du was gesagt?“
    „Nein. Nur: Ist alles in Ordnung mit dir?“
    Kate lächelte, aber irgendwie wirkte es gequält. „Sicher. Ich bin einfach ein wenig müde. Diese Woche war furchtbar. Lass uns schlafen gehen, mein
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