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Elfenlied

Elfenlied

Titel: Elfenlied
Autoren: Bernhard Hennen
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Aber allein seine Blicke ließen mich verstehen, dass er von mir etwa so viel hielt wie von einer Fliege auf einem Dunghaufen. Obwohl der Winterwind an der Grenze zur Snaiwamark wie mit Messern ins Fleisch der Lebenden schneidet, trug Alvias nur einen dünnen schwarzen Seidenmantel. Seine Augen waren blau wie der Winterhimmel an einem Tag, an dem der Atem zu knisternden Kristallen gefriert. Der Wind spielte in seinem schulterlangen, weißsilbernen Haar, ohne es zu zerzausen. Seine Lippen waren ein schmaler Strich in dem langen, edel geschnittenen Gesicht. Kostbare Stickereien säumten die Borte seines Mantels und des scharlachroten Gewandes, das er darunter trug. Er war unbewaffnet. Die Eiskristalle, die im kalten Wind tanzten, vermochten ihn nicht zu berühren. Der Mantel, der steif vom Frost hätte sein müssen, sah aus, als habe sein Träger ihn gerade erst aus einer Truhe genommen.
    Magie war mir vom Tag meiner Geburt an vertraut, so ist es mit allen Lutin. Ein Zauber machte Alvias für den Winter unberührbar. Ich ahnte das auch damals schon. Aber das änderte nichts daran, dass er mir unheimlich war. Seine Magie schützte ihn zwar vor dem Winter, aber dennoch erschien er mir von Kälte durchdrungen.
    »Du hast Flöhe.« Das war das Erste, was er zu mir sagte, bevor er mich mit sich nahm.
    Hatte ich erwähnt, dass wir Lutin einen Fuchskopf haben? Ich bin mir sicher, Alvias hatte recht. Er war der Hofmeister der Königin, wie ich später erfuhr. Wahrscheinlich stellte er sich bei meinem Anblick vor, wie ich eine ganze Flohplage in seinen Palast einschleppte. Ich war zu klein, um ihm eine passende Antwort zu geben. Also versuchte ich ihn zu beißen. Ein Fehler, den ich nie wieder begehen sollte. Auch wenn er so steif wirkte, als hätte er einen Stock verschluckt, war er erstaunlich schnell. Ich schnappte ins Leere, und er schlug mir mit dem Handrücken zwei Mal über die Schnauze. Dort geschlagen zu werden, tut verdammt weh. Obwohl ich mir alle Mühe gab, es zu vermeiden, stiegen mir die Tränen in die Augen. Ich war unglaublich wütend. Auf ihn. Auf die Kentauren, die mich einfach so hergaben. Auf mich, weil ich es nicht geschafft hatte, ihm in die Hand zu beißen.
    All meine Habe – die Tasche meiner Mutter, ein paar Amulette und eine Rohrflöte, die mir Boras geschenkt hatte – ließ sich in eine kleine Decke einrollen. Man hob mich vor Alvias in den Sattel. Boras drückte mir noch ein Armband aus geflochtenen Lederriemchen in die Hand. Ich habe es viele Jahre bei mir getragen, bis ich es in der Bibliothek von Iskendria verlor.
    Alvias scherte sich einen Dreck darum, wie sehr ich fror. Er redete kein Wort, und sein Schweigen war noch schlimmer als die Kälte.
    So ritt ich mit dem Elfen über eine verschneite Ebene unter dem grauen Winterhimmel. Es war ungemütlich, vor ihm im Sattel zu sitzen. Wie sehr ich mich auch bemühte, eine bequeme Sitzstellung zu finden, drückten mich das Sattelhorn oder seine Gürtelschnalle, oder die Zügel hingen mir vor dem Gesicht. Er hätte einen Arm um mich legen können und mich an sich drücken, aber er vermied es so gut es ging, mich auch nur zu berühren. Und ich schwöre, ich hatte bestimmt nicht mehr Flöhe als die Kentauren. Es gab keinen Grund, sich so böswillig zu verhalten.
    Wir waren bestimmt eine Stunde geritten, bis ich es wagte, ihn anzusprechen.
    »Wohin bringst du mich?«
    »Ins Herzland.«
    »Warum? Ich will da gar nicht hin.«
    »Emerelle, meine Königin, hat es so befohlen. Und jetzt sitz endlich still, sonst schnür ich dich zu einem Bündel zusammen und schnall dich hinter den Sattel!«
    Den Namen der Königin zu hören, beunruhigte mich mehr als die Aussicht, zu einem Gepäckstück verschnürt zu werden. Ich hatte viele wundersame Dinge über den Hof der Elfenkönigin gehört. Doch obwohl die Burg im Herzland wohl einer der schönsten Orte Albenmarks sein musste, war meine Mutter mit mir nie dorthin gereist. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass sie je über die Königin gesprochen hätte. Zum einen war ich neugierig, den wunderbaren Palast zu sehen zu bekommen, zum andern hatte ich Angst davor. Mir war durchaus bewusst, wie die Mehrheit der Völker Albenmarks über uns Lutin dachte. Und Alvias zeigte mir überdeutlich, was ich dort zu erwarten hatte. Außerdem war Emerelle nicht gerade für ihre Herzlichkeit berühmt. Alles in allem war sie wohl eine gerechte Königin, aber sie konnte auch unerwartet launisch sein. Vor wenigen Jahren erst hatte sie
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