Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Elfenlied

Elfenlied

Titel: Elfenlied
Autoren: Bernhard Hennen
Vom Netzwerk:
Ich war schlechter Laune, weil ich mich abgeschoben fühlte. Genauso ging es meinem Freund Bollo. Er war ein Kobold und etwa so alt wie ich. Bollo war der Sohn des Puddingkochs der Königin. Von der Zauberei hatte er keine Ahnung, aber er konnte klettern wie ein Eichhörnchen, und was skrupellose Streiche anging, übertraf er mich sogar. Kurz gesagt, er war mein allerbester Freund. Ich glaube, es war seine Idee, sich zu den Gästezimmern im Westturm zu schleichen und im Bett des Elfenfürsten von Alvemer eine Katze einzuquartieren, die noch vor Sonnenuntergang Junge zur Welt bringen würde. An all den Dienern und Wachen vorbeizukommen, war schon ein Abenteuer für sich. Ganz abgesehen davon, eine mürrische, trächtige Katze mit sich herumzuschleppen, die fast genauso stark war wie Bollo und ich. Bis wir die Katze zwischen zwei Bettpfosten angebunden und unter einer Decke hatten verschwinden lassen, hatten wir beide uns reichlich Schrammen eingehandelt. Natürlich konnten wir nicht im Schlafgemach bleiben. Hätten wir versucht, Zeugen unserer Schandtat zu werden, wären wir mit Sicherheit erwischt worden. Also mussten wir uns mit der Aussicht begnügen, dass wir am nächsten Tag schon zu hören bekommen würden, was geschehen war, als der Fürst von Alvemer mit nacktem Hintern in sein Bett stieg.
    Kichernd schlichen wir zur Tür des fürstlichen Gemachs, als wir von der Treppe her Stimmen hörten. Uns war der Rückweg abgeschnitten. Schatten verdunkelten den Lichtspalt unter der Tür. Ich habe die Stimmen noch im Ohr. Es waren ein Elf und eine Elfe. Sie unterhielten sich angeregt über Liebeslyrik und zerrissen sich das Maul über einen Farodin, der sich als Dichter wohl nicht sonderlich hervorgetan hatte.
    Bollo und ich tauschten einen langen Blick. Ich durfte auf den Langmut der Königin hoffen, aber für ihn und vielleicht sogar seinen Vater wäre es eine Katastrophe, wenn wir erwischt würden.
    Er nickte in Richtung der Fensterläden, an denen der Sturmwind rüttelte. In einem knöchellangen Kleid an einem Turm hinabzuklettern, war der blanke Leichtsinn, so viel war mir selbst damals schon klar. Aber ich wollte auch nicht als ein Feigling dastehen.
    Bollo war kein Freund langen Grübelns. Er öffnete einen Fensterladen, den ihm eine Bö prompt aus der Hand riss, sodass er mit einem Donnerschlag gegen die Außenwand schlug. Bollo lachte dem Sturm ins Gesicht, schwang sich über die Fensterbrüstung und war verschwunden. Der Riegel der Zimmertür wurde zurückgeschoben; ohne noch einen Herzschlag lang nachzudenken, folgte ich Bollo. Obwohl die Sonne noch nicht untergegangen war, war es stockfinster. Schwere Sturmwolken zogen zum Greifen nah über den Turm hinweg. Der Wind zerrte an meinem Kleid. Ich hatte Angst. Ich musste immerzu zum Hof hinabblicken, der in schwindelerregender Tiefe unter mir lag. Mein Herz pochte so heftig, dass es schmerzte.
    Ich kletterte auf ein Sims dicht unter dem Fenster. Die Außenmauern des Westturms waren mit Schmuckwerk überladen: Reliefs von Kreaturen aus den fernsten Winkeln der Welt. Kleine Balkone, gestützt von Drachen oder geduckten Minotauren. Fenster, die von steinernem Blattwerk und Blüten eingefasst waren. An einer Mauerecke hatte man sogar Efeu aus Sandstein und Stuck nachgearbeitet. Wer immer dieses Bauwerk erschaffen hat, muss mehr als nur ein bisschen verrückt gewesen sein. Es war bestimmt kein Kobold!
    Jedenfalls lud der Westturm geradezu dazu ein, an ihm herumzuklettern. Natürlich war das streng verboten, aber daran hatten Bollo und ich uns nie gehalten. Dutzende Male waren wir schon hier gewesen. Allerdings war ich nie in einem Kleid geklettert, hatte mich nie so weit hinaufgewagt. Und nie war es so stürmisch gewesen. Ich klebte an der Mauer wie eine Bremse auf einem Kentaurenhintern.
    Über mir schloss jemand das Fenster. Ich hörte, wie der Riegel vorgelegt wurde. Ich blickte hinab zum Hof. Nirgends war ein Fenster offen. Jetzt hieß es klettern oder abstürzen, einen anderen Weg gab es nicht. Bollo klammerte sich ein Stück tiefer an einen steinernen Pegasus; sein tollkühner Übermut schien vom Wind davongetragen zu sein. Es wäre klüger gewesen, sich oben im Gastgemach bei einem dummen Streich erwischen zu lassen.
    Ich habe die Eigenart, sehr dickköpfig zu werden, wenn die Lage besonders verzweifelt zu sein scheint. Bollo so zu sehen, raubte mir keineswegs den Mut, sondern es machte mich zornig. Ich kletterte zu ihm hinab.
    »Ist das dein Plan? Hier
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher