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Elfenkind

Elfenkind

Titel: Elfenkind
Autoren: Inka-Gabriela Schmidt
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aufzupassen?», meinte Lara sanft. Aliénor wusste, dass ihre Freundin natürlich recht hatte. Sie konnte ihre Mutter nicht für immer beschützen. Das würde bedeuten, dass sie bis in alle Ewigkeit zu Hause wohnen bleiben müsste. Undenkbar! Dennoch schob sie die Entscheidung vor sich her.
    «Du weißt doch, dass sie nicht gegen meinen Vater ankommt», brachte sie wieder ihr altes Argument.
    Lara schnaubte, verfolgte das Thema Auszug aber nicht weiter, wofür Aliénor ihr sehr dankbar war, sondern brachte das Gespräch zurück zu Geoffrey und seine ewigen Beschwerden.
    «Was hatte er denn diesmal auszusetzen?»
    Aliénor zog die Nase kraus. «Alles», seufzte sie. «Mein Outfit und dass ich überhaupt existiere, mir erlaube, ihm Kontra zu geben, abends weggehe … Ich soll übrigens auch spätestens um Mitternacht zurück sein.»
    Lara gluckste und warf ihrer Freundin ihr typisches «Wohl kaum»-Grinsen zu.
    « Maman meint, dass er denkt, dass ich direkt einem Vergewaltiger in die Arme laufe. Aber ich glaube, das ist reine Schikane von seiner Seite.»
    «Vermutlich. Aber diese Paranoia kenn ich von meiner Mutter. Die befürchtet auch immer, hinter jeder Hausecke wartet einer auf mich.» Sie verdrehte genervt die Augen.
    Der Wagen schlingerte, weil sie, ohne wirklich hinzusehen, und viel zu schnell in eine Kurve lenkte. Es war nicht das erste Mal. Sie betrachtete es als sportliche Übung.
    Aliénor drehte die Musik wieder lauter. Sie schwiegen, während Lara ihr Auto unter Missachtung sämtlicher Verkehrsvorschriften in halsbrecherischer Weise durch die Kölner Straßen jagte und sich in riskantem Spurhopping durch den dichten Verkehr schlängelte. Es hatte aufgehört zu nieseln und die Fahrbahn war fast trocken. In einer Unterführung hatte sich jedoch Wasser gesammelt und spritzte in einer breiten Woge auf beiden Seiten weg.
    Aliénor hatte keine Angst, denn sie kannte Laras Fahrweise zur Genüge. Wenn sie eines Tages selbst ein Auto ihr eigen nennen durfte, würde sie genauso fahren. Und sei es nur, um ihrem ach so akkuraten Vater, der ihr ständig mit seinen Moralpredigten und Verboten auf die Nerven ging, mit den Strafzetteln eins auszuwischen. Dann schüttelte sie innerlich lächelnd den Kopf. Sie würde es natürlich nicht tun. Was sollte das schon bringen außer weiterem Ärger?
    Lara blickte fragend zu ihr hinüber, aber Aliénor winkte ab. Sie wollte nicht mehr über Geoffrey oder über ihre Mutter nachdenken. Oder über einen möglichen Auszug oder das Studium. Oder überhaupt irgendetwas. Sie wollte alles vergessen und heute Nacht einfach nur Spaß haben.
    Sie musterte ihre Freundin von der Seite. Lara hatte sich wieder voll ins Zeug gelegt, um ihrer Lebenseinstellung Ausdruck zu verleihen. Sie verkörperte alles, was den Mythos der Eternal Romantics ausmachte, und hatte mit ihrer Begeisterung Aliénor schnell überzeugen können, auch mitzumachen. Das war nicht allzu schwierig gewesen, denn Aliénor kam der Kult, der alte Traditionen, religiöse Symbole und mystische Handlungen zu einem romantisch-okkulten Mythos kombinierte, sehr entgegen. Mehr noch als Lara, die hauptsächlich an der exaltierten Kleidung interessiert war, hatte sie seit ihrer Kindheit Bücher über das Mittelalter, über Geister und Hexen, Alchemie und magische Zirkel verschlungen. Und wenngleich sie nicht alles glaubte, was sie las, übten diese Themen doch eine nicht zu leugnende Faszination auf sie aus.
    Laras pechschwarz gefärbtes Haar war sorgfältig zu einer schlanken Hochfrisur toupiert, was ihr ohnehin klassisches Profil optisch noch weiter verlängerte. Aliénor fand, dass sie von der Seite aus betrachtet fast ein wenig der Nofretete ähnelte. Zu dem langen Kleid, einer Kombination aus schimmerndem dunkelviolettem Samt und schwerem weinroten Brokat, gehörten Hals- und Ärmelabschlüsse aus cremefarbener, gestärkter Spitze. Darüber trug sie jede Menge Accessoires: am Gürtel einen Rosenkranz aus schwarzen Perlen, um den Hals ein großes, mit falschen Rubinen besetztes Kruzifix, an beiden Händen breite silberne Ringe mit mystischen Symbolen.
    Aliénor betrachtete ihre eigenen Hände. Ihre Finger waren ausgesprochen lang und dabei so zartgliedrig, dass sie Schwierigkeiten gehabt hatte, ähnliche Ringe für sich zu finden. Die meisten rutschten ihr einfach von den Fingern. Immerhin zwei zierten aber inzwischen auch ihre Hände, worauf sie sehr stolz war.
    Das schwere Kruzifix betonte den tiefen Ausschnitt von Laras Kleid.
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