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Elfenkind

Elfenkind

Titel: Elfenkind
Autoren: Inka-Gabriela Schmidt
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fragte Geoffrey betont gelassen. Aber Aliénor hörte sehr wohl die Kritik hinter seinen Worten. Genau aus diesem und vielen anderen Gründen wäre sie am liebsten sofort ausgezogen. Er behandelte sie wie ein unmündiges Kind, dem man sagt, was es tun darf und was nicht. Dabei interessierte es ihn in Wirklichkeit doch gar nicht, was sie machte.
    «Ja», erwiderte sie kurz. «Ich habe etwas vor. »
    «Wo gehst du hin?»
    Aliénor ignorierte die Frage und aß einfach weiter.
    Geoffrey legte sein Besteck auf den Teller. «Wo du hingehst, will ich wissen!»
    «Ich bin zwanzig und dir keine Auskunft schuldig!», fauchte sie zurück.
    «Solange du deine Füße unter meinem Tisch ausstreckst, wirst du mir Auskunft geben!»
    «Würdet ihr beiden bitte …», kam Chantals nervöse Stimme und Aliénor konnte ein ungewolltes Aufwallen von Ärger über ihre Mutter nicht unterdrücken. Warum mussten Auseinandersetzungen um jeden Preis vermieden werden? Es war doch nicht so, dass der Konflikt dadurch nicht mehr vorhanden war. Im Gegenteil. Dass es nie ausgesprochen werden durfte, machte es doch nur noch schlimmer. Ihre Kehle zog sich zusammen und sie glaubte, ersticken zu müssen. Sie konnte das keinen Augenblick länger ertragen.
    «Ich bin erwachsen. Ich kann tun und lassen, was ich will.» Sie warf die Serviette neben den Teller und stieß den Stuhl energisch zurück. Ohne einen weiteren Blick auf ihre Eltern ging sie mit schnellen Schritten und hoch erhobenen Hauptes hinaus.
    «Aliénor! Komm sofort zurück! Du wirst das aufessen und mir eine Antwort geben!» Geoffreys unbeherrschter Ausbruch war noch im Flur zu hören.
    Mit einem lauten Knall warf Aliénor die Tür hinter sich zu. Es hätte sie nicht gewundert, wenn er ihr gefolgt wäre, aber ihre Mutter hatte ihn wohl zurückgehalten.
    Bebend vor Wut, aber ohne Hast schritt sie die Treppe hinauf. Sie hörte, wie sich nun ihre Eltern stritten. Ihr Vater auf Deutsch und so laut, dass sie jedes Wort auch hier noch deutlich verstehen konnte. Ihre Mutter würde auf Französisch antworten und sehr leise, wenn sie denn überhaupt einmal ein Wort dazwischen bekommen würde.
    Auch eines der Rituale, die Aliénor nie verstehen würde. Während es ihm bei seiner Arbeit bei einem Sondereinsatzkommando der Kölner Polizei angeblich nützlich war, Französisch zu sprechen, weigerte sich Geoffrey ansonsten standhaft, seine Muttersprache zu benutzen. Er verbot überhaupt, zu Hause Französisch zu sprechen. Die Kinder müssten perfektes Deutsch beherrschen, argumentierte er seit ihrer Kindheit und ließ nicht gelten, dass sie in einen deutschen Kindergarten und eine deutsche Schule gingen, ein grammatikalisch fehlerfreieres Deutsch sprachen als manches Kind deutscher Eltern, deren Sprache von Mundart geprägt war.
    Zu ihrem Glück hielt Chantal sich nicht an Geoffreys Wünsche, sobald sie alleine waren, sonst hätte Aliénor wohl niemals Französisch gelernt und das wäre wirklich sehr schade gewesen. Im Gegensatz zu Maurice, ihrem gut zwei Jahre älteren Bruder, der lieber Englisch als Französisch sprach, liebte sie den melodischen Klang dieser Sprache und las auch französische Literatur.
    Aliénor warf den Morgenmantel auf das Bett, drehte sich einen Moment nackt vor der Spiegeltür ihres Kleiderschranks und betrachtete sich kritisch. Obwohl sie regelmäßig aß und in letzter Zeit sogar mehr Lust auf Süßes als sonst hatte – am liebsten waren ihr klebrige, mit Honig oder Karamell gefüllte Nussriegel –, nahm sie ab. Vielleicht war es auch nur der Stress in der Uni. Wenn erst die Semesterprüfungen hinter ihr lagen, normalisierte sich bestimmt alles.
    Sie strich mit den Fingerspitzen über ihre Brüste. Sie fühlten sich gut an, fest, mit kleinen rosigen Spitzen, die heute ungewohnt sensibel auf die Berührung reagierten. Ihre Hand zuckte zurück. Eigenartig. Normalerweise war es für sie nicht anders, als wenn sie sich über den Arm oder das Bein streichen würde. Aber heute fühlte sie ein kleines Kribbeln, das sich bis zwischen ihre Beine zu ziehen schien. Sie wiederholte die Berührung und fühlte wieder dieses elektrisierende Kribbeln. Vorsichtig hob sie die Hände von ihren Brüsten.
    Als sie den Blick hob und sich im Spiegel ansah, wirkten ihre Augen noch größer als sonst. Hatte ihre Sexualität sich wirklich ausgerechnet heute ausgesucht, um erste Anzeichen des Erwachens zu zeigen? Entschlossen schob sie diesen etwas erschreckenden Gedanken zur Seite und wandte sich
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