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Elf Zentimeter

Elf Zentimeter

Titel: Elf Zentimeter
Autoren: Stefan Scheiblecker
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aufgefallen. Ich war ziemlich begeistert gewesen, als sich herausgestellt hatte, dass sie vorläufig gemeinsam mit mir Dienst haben würde. Ich legte um sechs Uhr Früh die internationalen Zeitungen in der Lounge auf, während sie die Kaffeemaschine anwarf. Wenn noch nicht viel los war, gingen wir danach erst einmal eine rauchen. Dafür mussten wir ein kaum zwei Quadratmeter großes Kämmerchen benutzen. Mit Tatjana war das kein bisschen unbequem. Ich hatte ihr gegenüber keine Hemmungen, wie ich sie sonst bei Frauen hatte. Alles entwickelte sich ganz selbstverständlich. Wir verbrachten von Anfang an auch unsere freie Zeit miteinander. Nach einer Woche drückte ich ihr während einer unserer Rauchpausen einen Kuss auf den Mund, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt und ich James Dean. Danke, liebes Schicksal, dachte ich dabei. Ich nahm mir ausnahmsweise, was mir das Schicksal bot, ohne lange nachzudenken. Selbst meine zwanghaften Gedanken an ein Liebesglück mit Sabine waren auf einmal wie weggeblasen. Alles ging mir unglaublich leicht von der Hand.
    »Er hat sich verliebt«, sagte meine Großmutter.
    »Lass ihn doch«, sagte meine Mutter.
    »Hast du dich verliebt?«, fragte mein Vater.
    »Ja«, sagte meine Mutter, »hast du dich verliebt?«
    »Lasst ihn doch«, sagte meine Großmutter.
    Tatjana teilte sogar meine Leidenschaft für Motorräder. Sie erzählte mir von ihrem ersten Freund, der sie mit einer 750er Suzuki von der Schule abgeholt hatte. Er war deutlich älter als sie gewesen und hatte sein Wissen über Motorräder und deren Wartung an sie weitergegeben, ehe sie sich nach einem Jahr getrennt hatten. Sie verstand tatsächlich mehr davon als ich. Auch das störte mich nicht. Ich erzählte ihr von Jakobs und meinem spektakulären Unfall. Wie anders mein Leben damals noch war, dachte ich, während ich genüsslich ausführte, wie ich haarscharf mit dem Vorderrad an Jakobs Kopf vorbeigeschlittert war.
    Auf eine altmodische Art fanden wir zueinander. Wir bildeten eine Zwei-Personen-Insel inmitten der Chaoswelt aus hysterischen One-Night-Stands, gellendem Sexgeschrei, Beziehungsängsten und etwas, das sich als Single-Markt bezeichnet.
    »Am schlimmsten sind die Flirt-Schulen«, sagte Tatjana einmal. »Da wird einem eingeredet, dass man sich auf eine ganz bestimmte Art zu benehmen hat, wenn man den nächsten Aufriss machen will. Und wir sind auch noch dumm genug, für solchen Unfug zu bezahlen.«
    Wie klug sie war. Sie konnte alle Dinge so erklären, dass sie einem sofort einleuchteten. Mir zumindest.
    »Am Ende lassen sich dann alle operieren, damit sie ihre Marktchancen verbessern«, sagte sie. »Euch Männer lassen sie damit auch nicht mehr in Ruhe. Wirf mal einen Blick in die Magazine, die du am Morgen immer auflegst. Jetzt sind operative Penisvergrößerungen im Kommen.«
    Tatjana konnte noch nichts über meine Maße wissen. So weit waren wir noch nicht. Es sei denn, sie gehörte auch zu den Frauen, die ihre Schlussfolgerungen aus dem Schnitt des Gesichts, der Statur und anderen körperlichen Merkmalen zogen.
    »Ihr Männer lasst euch diesen Blödsinn genauso einreden wie wir Frauen uns die Silikonimplantate. Am Ende bekommt ihr vor lauter Stress keinen mehr hoch. Dabei kommt es auf solche Dinge nicht an. Wenn es einem Mann Spaß macht, ist er auch ein guter Liebhaber. Alles andere sind Legenden.«
    Ich hatte noch nie ein weibliches Wesen so offen über dieses Thema sprechen gehört. Tatjana war wirklich eine außergewöhnliche Frau.
    Trotzdem stellte ich zuerst keinen Zusammenhang zwischen dem, was sie sagte, und meinem näher rückenden Beratungstermin in der Klinik her.
    Das Geld für die Operation steckte in einem Kuvert mit der Aufschrift »Mindestens dreizehn!«. Ich war entschlossen, das durchzuziehen.
    Tatjana und ich befanden uns gerade in einer Phase der Annäherung. Ich konnte mir keine körperliche Unzulänglichkeit ihrerseits vorstellen, die an meiner Zuneigung zu ihr noch etwas geändert hätte. Umgekehrt war ich mir da aber nicht so sicher. Und außerdem würde sich die Längenfrage irgendwann bestimmt doch wieder stellen. Spätestens dann würde es sich bezahlt machen, wenn ich zuvor in dieser Klinik gewesen war.
    Deshalb musste ich rasch handeln. Unsere erste Liebesnacht war nur noch eine Frage der Zeit. Und ich wollte Tatjana nichts von den spezialisierten Doktoren erzählen, sondern mein Ding als von Gott gegeben präsentieren. Deshalb konnte ich nicht zuerst mit elf Zentimetern
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