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Elf Zentimeter

Elf Zentimeter

Titel: Elf Zentimeter
Autoren: Stefan Scheiblecker
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möglich mit zweifelhaften Schönheitsoperationen zu ergattern, sondern konzentrierten sich darauf, wirklich überdurchschnittlich kleine oder durch Krankheit entstellte Penisse zu behandeln. Außerdem gefiel es mir, dass wirklich zwei ausgebildete Ärzte, deren Lebensläufe auf der Internetseite nachzulesen waren, die Voruntersuchung durchführten.
    Beim Kostenthema nahmen die beiden wohlwollend zur Kenntnis, dass ich in bar zahlen würde. Blieb nur noch die Frage nach dem Operationstermin.
    »Da habe ich eine Nachricht, die Sie vielleicht freuen wird«, sagte der ältere Arzt. »Gewöhnlich sind unsere Wartezeiten eher lang, aber gerade hat es überraschend eine kurzfristige Absage aus privaten Gründen gegeben. Wenn Sie möchten, können Sie den Termin gleich nächste Woche haben.«
    Das ging ziemlich schnell. Ich war auf einen Monat Wartezeit eingestellt gewesen. Ich hatte mir bereits Pläne zurechtgelegt, wie ich Intimitäten mit Tatjana weiter hinauszögern konnte. Das war jetzt offenbar hinfällig. Am besten meldete ich mich wohl daheim krank und hauste bis zur OP in der fremden deutschen Stadt im Wohnwagen.
    »Gut«, sagte ich. »Ich nehme den Termin. Je früher, desto besser.«
    Ich schlief ziemlich schlecht in dieser Nacht. Ich träumte von einem doppelten Gesicht mit zwei Mündern. Einer gehörte Sabine und einer Tatjana. Beide redeten über meinen neuen Schwanz. Weil sie es gleichzeitig taten, verstand ich kein Wort. Auf einmal war nur noch Tatjana allein da, doch jetzt redete sie nicht mehr. Stattdessen schluchzte sie haltlos. So hatte ich sie noch nie gesehen. Schweißgebadet erwachte ich. Ich verließ den Wohnwagen für einen Morgenspaziergang.

[home]
    34
    I n der winterlichen Morgenstimmung der fremden Stadt kam mir mein ganzes Leben wie ein seltsamer Traum vor. Ich war an einem Wendepunkt, bloß kannte ich die richtige Richtung nicht. Ziellos streunte ich durch die Straßen, die sich mehr und mehr mit Menschen füllten. Hier also sollte mein Schwanz um drei Zentimeter wachsen? Auf einmal kam mir das Ganze so lächerlich vor. 8900 Euro würden auf einen Schlag weg sein, nur damit mein Schwanz etwas weiter aus meinem Körper rutschte.
    Ich vermied es, bei meinem Spaziergang in die Nähe der Klinik zu geraten. Was für eine Beziehung würde ich nach der Operation zu meinem Schwanz haben? Das hatte ich die Ärzte zu fragen vergessen. Würde ich danach noch ich sein? Was dachten Frauen, wenn sie sich nach weitreichenden Schönheitsoperationen zum ersten Mal im Spiegel sahen? Waren sie dann noch sie selbst? Oder musste man schon aufgehört haben, man selbst zu sein, um sich so eine Operation überhaupt anzutun.
    Ich jedenfalls war trotz all dem Stress mit meinem Schwanz immer noch ich. Seit ich Tatjana kannte, mehr denn je.
    Wollte ich das wirklich riskieren? Hatte ich in den vergangenen Wochen überhaupt noch ein Problem mit meinem Schwanz gehabt? Eigentlich nicht. Wäre dieser Termin hier nicht gewesen, hätte ich mir vermutlich keine Gedanken über meinen Schwanz gemacht. Ich hatte nicht mehr wirklich das Gefühl, dass ein paar fehlende Zentimeter zwischen Tatjana und mir stehen könnten. Und wenn, dachte ich, dann wäre es mir auch egal. Das Schicksal hatte mich in eine Situation manövriert, in der ich mich eins mit mir fühlen konnte.
    Regel Nummer fünf lautet:
    5.
Ein Mann, der eins mit sich selbst ist,
ist auch eins mit seinem Schwanz.
    Oder bekam ich einfach nur kalte Füße vor der Operation? Ich stellte mir vor, wie ich entspannt mit Tatjana übers Wochenende wegfuhr, ohne Angst vor dem Augenblick haben zu müssen, in dem sie liebevoll meine intimeren Teile erforschen würde.
    Allerdings war das mit dieser Angst auch gar nicht mehr so schlimm, wie ich es mir oft einredete. Ich hatte zwar mit einer Notlüge den Wochenendausflug verschoben. Aber eigentlich nur, weil ich genau gewusst hatte, dass der Besprechungstermin in der Klinik schon so nah war. Und bei den romantischen Rendezvous hatte ich mich eher aus Gewohnheit als aus Angst immer wieder bereits früh am Abend verabschiedet.
    Unwillkürlich war ich vor einer Auslage stehengeblieben. Darin standen gebrauchte Motorräder. Ganz vorne befand sich eine Suzuki GSX 750. Das war genau die Maschine, von der Tatjana geredet hatte. Irgendetwas wollte mir das Schicksal damit sagen, ich wusste bloß nicht genau, was. Noch immer zögernd ging ich zurück zum Wohnwagen.
    Dort fiel es mir ein. Bei aller Ernsthaftigkeit machten die Ärzte in der Klinik
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