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El Silbador

El Silbador

Titel: El Silbador
Autoren: Berndt Guben
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trotz der frühen Jahreszeit verhältnismäßig warm. Als der Morgen graute, befand sich die »Trueno« auf einer Position von etwa 38 Grad nördlicher Breite und 51 Grad westlicher Länge. Sie segelte also am Rand einer ständigen Westströmung.
    Die Korsaren lagen noch in ihren Kojen und schnarchten, als plötzlich der Ruf »Schiff in Sicht« ihrem behaglichen Schlummer ein plötzliches Ende bereitete.
    Hastig schnallten sie die Entersäbel um und stürmten an Deck. Vielleicht gab es neue Beute. Von der Reling aus versuchten sie vergebens, mit bloßen Augen den morgendlichen Dunst zu durchdringen.
    Da kam abermals der Ruf vom Ausguck:
    »Schiff hat britische Handelsflagge gesetzt. Kann keine Kanonen oder Schießscharten an Bord erkennen. Wahrscheinlich Kauffahrteifahrer.«
    Es durchlief die beutelüsternen Piraten wie ein elektrischer Strom. Wo blieb die Kapitänin so lange? Warum kam kein Zeichen zum Angriff?
    Marina hatte eine schwere Nacht gehabt. Düstere Traumgesichter hatten Blei in ihre Glieder gegossen.
    Von dem Lärm, der sich inzwischen erhoben hatte, erwachte auch sie. Rasch kleidete sie sich an. Diesmal trug sie kein Kleid, sondern Piratenhemd, Hose und Stiefel. Mit ihrer zarten Hand umfaßte sie fest den Knauf eines zierlichen Degens. Wenige Minuten später stand sie auf der Kommandobrücke. Guillermo war schon da. Aber Don Escamillo fehlte noch. Da tauchte auch das Schiff, für alle sichtbar aus dem Nebel auf.
    Als Marina zum Glas griff, erkannte sie, daß drüben an Bord friedliches Treiben herrschte. Man dachte offenbar an nichts Böses.
    »Setzt unsere Flagge!« rief sie durch das Sprechrohr.
    Die Samtflagge mit den zwei Händen stieg am Hauptmast empor.
    Noch immer suchten Marinas Blicke das fremde Schiff ab. Dort setzte plötzlich ein emsiges Treiben ein. Mehrere Damen, die sich an Bord befanden, flüchteten mit ängstlichen Gesten unter Deck. Das Aussehen des Frachters veränderte sich schlagartig. Planen wurden von irgendwelchen Gegenständen entfernt, die sich als Kanonen entpuppten, allerdings recht untauglichen Geschützen; denn sie waren nicht einmal fest aufmontiert. Es schien sich um gewöhnliche Feldschlangen zu handeln, die man wahrscheinlich nur zum Einsatz im Notfall vorgesehen hatte.
    Die Besatzung stand, sofern sie nicht anders benötigt wurde, an der Reling und hielt Gewehre im Anschlag. Man hatte sich also vermutlich zu einer ernsthaften Verteidigung entschlossen. »Geschütze klar!« befahl Marina. »Ruder sechs Strich Steuerbord!« Die »Trueno« machte eine elegante Wendung und fuhr nun mit dem Bug direkt auf den Kauffahrer zu, der ihm die ganze Breitseite darbot.
    »Warnschuß vor den Bug!« kam ein weiterer Befehl von der Kommandobrücke. »Feuer!« Die Kugel fiel wenige Meter vor dem Schoner klatschend ins Wasser. Aber es zeigte sich keine Reaktion.
    Marina ließ signalisieren:
    »Streicht die Flagge! — Bleibt auf Kurs!«
    Keine Antwort. Weder wurde die Flagge gestrichen, noch blieb der Gegner auf seiner Position. Man hatte vielmehr den Eindruck, daß er nach Osten zu entkommen versuchte; denn er hatte alle Segel gesetzt. Die »Trueno« folgte.
    Der andere schien nach einer Weile einzusehen, daß es kein Entkommen gab. Er drehte plötzlich bei, und Sekunden später krachten seine Kanonen. Die Geschosse lagen zu kurz.»Buggeschütze — Feuer!« rief die Gräfin mit leuchtenden Augen. Jetzt war es so weit. Irgendwie hatte sie noch gehofft, die Sache würde ohne Kampf abgehen. Die Passagiere interessierten sie nicht. Die Piraten hatten es nur auf die Ladung und auf das Eigentum der Seeleute und Fahrgäste abgesehen. Nun, wenn man sich dort drüben diese Dinge nicht friedlich nehmen lassen wollte, so bestand auch keine Veranlassung, schonend mit den Menschen umzugehen. Das war Piratenbrauch.
    Die Kugeln der »Trueno« rissen einige Segel nieder.
    »Haltet direkt auf Deck. Aber schießt das Schiff nicht leck, sonst haben wir das Nachsehen. Feuer!«
    Jetzt hatten auch die drüben ihre Geschütze wieder geladen. Aber entweder hatten sie schlechte Kanoniere oder schlechtes Pulver. Kein einziger Schuß traf den Piraten. Außerdem waren die Leute auf dem Kauffahrer überrascht, als sie sahen, daß der Pirat mit soviel Geschützen vom Bug her schoß und ihnen nicht die Breitseite bot.
    Bug- und Heckgeschütze kannte man in diesen Zeiten noch kaum. Die ballistischen Wissenschaftler lehnten diese Montierung für die Schiffsartillerie ab, weil sie der Meinung waren, daß man in voller
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