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Eisweihnacht

Eisweihnacht

Titel: Eisweihnacht
Autoren: Ruth Berger
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richtig. Meine Nichte und ich, wir werden Ihnen Vanillekipferl backen, dass Ihnen Hören und Sehen vergeht, die werden Ihnen auf der Zunge zerschmelzen. Fest versprochen.»
    Die Tante ignorierte dabei den entnervten, entsetzten Blick ihres Bruders. Das Rezept für die besten Vanillekipferl des ganzen Deutschen Bundes stammte von seiner ersten Frau, Elises Mutter, und Kipferl waren die Weihnachtsspezialität des Hauses gewesen, bis Ernst Wolfgang Best festgestellt hatte, dass er Kipferl partout nicht mehr ertragen konnte, wegen der düsteren, quälenden Erinnerungen, die diese nun bei ihm hervorriefen.

    Der Gast Gehling konnte seine Freude nicht verhehlen und bedankte sich artig. Dann fragte ihn die Tante, wie es denn eigentlich komme, dass er als Pastor von seiner Pfarrei jetzt in der Adventszeit abkömmlich sei? Der kleine Gehling druckste herum. Er werde in Dingelstedt vom Vikar vertreten. Es seien in seiner Familie leider gewisse Umstände eingetreten, äh, vielmehr, er sei jetzt hier im Frankfurterischen unterwegs, um einige Familienangelegenheiten neu zu ordnen, nachdem seine Frau, übrigens von hier gebürtig, vor kurzem verstorben sei und ihn mit fünf Kindern allein zurückgelassen habe.
    Kurz herrschte ein betretenes Schweigen, zumal der Pfarrer Gehling den Eindruck vermittelte, dass ihm dieses Geständnis peinlich sei. Dann erklärten Elise und die Tante gleichzeitig, wie leid ihnen Gehlings Verlust tue, worauf dieser etwas Unverständliches murmelte und das Thema wechselte. Er wandte sich an seinen Vetter Wartenstein und fing wieder von den Christbäumen an.
    «Übrigens, meiner Ansicht nach kommt die Sitte mit den Bäumen nicht von der Anbetung einer heidnischen Sonnengottheit.»
    «So?», sagte Wartenstein und kräuselte die mächtigen Brauen. «Ich würde doch sagen, der Zusammenhang der Lichter mit der Sommersonnenwende und dem römischen Fest
Sol Invictus
ist offensichtlich?»
    «O nein. Ich glaube, die Lichter sind nur zusätzliche winterliche Dekoration. Das Eigentliche sind die Äpfel. Man hat doch früher an Heiligabend Paradiesspiele aufgeführt, weil der 24. Dezember der Namenstag von Adam und Eva ist. Der Baum stellte den Baum der Erkenntnis dar. Und weil er so schön war, ist er übriggeblieben, auch als man von den Paradiesspielen abkam und zu Krippenspielen überging.»
    «Das mag sein, wie es will», schnaubte Wartenstein. «So oder so hat dieser Baum mit dem Weihnachtsfest nicht das Geringste zu schaffen.»
    «Doch», wagte Elise, bedacht von einem kritischen Blick ihres Vaters. «Doch, der Baum hat schon etwas mit dem Fest zu tun. Er steht für die Freude an der Geburt Christi. So habe ich das jedenfalls immer empfunden.»
    «Das sehe ich ganz ähnlich, liebes Fräulein», sagte der kleine, kahle Gehling und beugte sich mit derart eindringlichem Blick zu Elise vor, dass es der ein bisschen unheimlich wurde.
    «Schluss mit den Sentimentalitäten», donnerte der Vater. «Gehling, erzählen Sie uns doch –»
    An dieser Stelle wurde der Kaufmann Best unterbrochen, und zwar von Line, einer seiner beiden Hausangestellten.
    «Es tut mir leid, dass ich störe, der Herr», sagte Line nervös. «Aber da ist jemand an der Tür, und ich weiß nicht … es sind halt Bettler. Sie fragen um Brennholz oder etwas Geld.»
    «Ja, dann schicken Sie die Leut zum nächsten Haus weiter», sagte Best unwirsch.
    Line verschwand. Die Tante räusperte sich, und für einen Moment fiel niemandem etwas zu sagen ein.

N achdem die Gäste gegangen waren, bestellte der Vater Elise zu einem Gespräch ein. Oder war es ein Verhör? Er erwartete sie in seinem winzigen Schreib- und Rauchzimmer. Auf dem klobigen Schreibtisch, hinter dem er saß, brannte nach seiner Gewohnheit eine Öllampe. Es war noch Tag, aber hell konnte man es nicht nennen. Das Fenster des Zimmerchens ging auf eine zugebaute Veranda an einem winzigen, düsteren Hinterhof.
    «Was hältst du von Gehling?», begann der Vater. «Ich hatte den Eindruck, du verstehst dich gut mit ihm.»
    Elise wunderte sich über die Frage. «Er ist ganz nett, glaube ich.»
    Der Vater nickte bedächtig und betrachtete seine Zigarre. «Wartenstein erzählt seit Jahren nur Gutes über ihn», verkündete er, zündete die Zigarre an, sog und paffte eine Rauchwolke aus und dann eine zweite. «Gehling sucht eine neue Frau», sagte er schließlich. «Er hat angeboten, dich zu heiraten. Ich habe gesagt, dass mir das sehr recht wäre. Ich würde sagen, das ist die allerletzte
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