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Eisweihnacht

Eisweihnacht

Titel: Eisweihnacht
Autoren: Ruth Berger
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Halbschlaf voll schwerer Träume.

D er Pfarrer Wartenstein von der Frankfurter Paulskirche (der soeben in der Wohnstube des Kaufmanns Best Platz genommen hatte) war deswegen Pfarrer geworden, weil dies ein Amt mit einem geregelten Einkommen war. Zum Seelsorger fühlte er sich nicht berufen. Auch war er zwar ein ausgezeichneter Theologe, wie er nicht müde wurde zu verkünden, und durchaus gläubig. Für die primitive Volksreligiosität allerdings, die er bei den Schäfchen seiner Gemeinde beobachtete, hatte er gerade deshalb keinerlei Verständnis. Eben wieder ereiferte er sich über die Tannenbäume, die vor dem Römer feilgeboten wurden. «Der Lichterbaum», rief er, «ein Kultobjekt des Heidentums, wie es im Buche steht, nicht wahr! Und dann entblöden sich die Leut nicht, das Ding neuerdings blasphemischerweise Christbaum zu nennen! Nicht wahr, Best?»
    Der Kaufmann Best nickte pflichtschuldig. Er pflegte seinem Freund in theologischen Fragen stets zuzustimmen. Zum einen, weil alles andere zwecklos gewesen wäre. Zum anderen, weil gerade diejenigen theologischen Fragen, die den Pfarrer Wartenstein umtrieben, ihn, Best, herzlich wenig interessierten.
    «Ach, du bist viel zu streng mit den Leuten», mischte sich nun endlich der kleine, dürre, kahle Herr ein, den Wartenstein mitgebracht hatte und zu dessen Ehren das adventliche Kaffeegelage veranstaltet wurde. «So ein Baum erwärmt das Gemüt im Winter», fuhr der kleine Mann fort, «und wenn die Menschen ihn Christbaum nennen, dann zeigen sie damit bloß, dass sie das Herz am rechten Fleck haben.»
    «Dein Wort in Gottes Ohr», höhnte Wartenstein. «Aber wir sind uns ja im Prinzip einig, die Menschheit ist nun einmal nicht reformierungsfähig, neigt dem goldenen Kalbe zu, und man muss sie nehmen, wie sie leider ist, nicht wahr.»
    «Zählst du auch dies Marzipangebäck hier zu den goldenen Kälbern?», fragte der kleine dürre Mann verschmitzt und deutete auf das golden glänzende Bethmännchen, nach dem Wartenstein griff. Der sah verdutzt drein, dann lachte er auf. «Die heißen aber Bethmännchen und nicht Christmännchen, nicht wahr», verteidigte er sich. «Und ich wüsste nicht, in welchem heidnischen Kult Plätzchen eine Rolle spielen. Nein, Gebäck ist theologisch ganz unproblematisch. Die Lichterbäume hingegen, wie ich sagte, reines Heidentum und Blasphemie. Freund Best hier sieht das genauso. In diesem Haus habe ich noch keinen Lichterbaum gesehen.»
    Fräulein Elise und ihre Tante wechselten einen Blick. Was hatte es im Hause Best früher für schön geschmückte Tannenbäume gegeben! Der Pfarrer Wartenstein hatte höchstwahrscheinlich keine Ahnung von den wahren Gründen, um deretwillen sein Freund Best das Haus frei von Weihnachtsschmuck hielt.
    «Welches Weihnachtsgebäck mögen denn Sie am liebsten?», fragte die Tante den von Wartenstein mitgebrachten Gast zur Ablenkung. «Wir müssen ja wissen, womit wir Sie erfreuen können, damit Sie uns noch öfter beehren, solange Sie in Frankfurt sind!» Dabei stieß die Tante unauffällig Elise in die Seite. Die beiden Frauen saßen auf dem taubenblau bespannten Sofa, die Herren in den dazugehörigen Ohrensesseln, und in ihrer Mitte stand ein polierter, warmgelber Holztisch mit Einlegearbeiten, den vor über dreißig Jahren Elises Mutter mit in die Ehe gebracht hatte, wie auch die biedermeierliche Sitzgarnitur.
    Der kleine Mann, er hieß übrigens Gehling, ließ seinen Blick über den Tisch schweifen. Da lagen auf einem Teller Bethmännchen und Brenten einträchtig nebeneinander, da gab es in Butterschmalz gewälzte Stollen und Baumkuchen, auch Prügelkuchen genannt, und natürlich durften die Lebkuchen nicht fehlen (zu Elises Ehren hatte Line Elisenlebkuchen geholt). Kurz, es lag hier viel zu viel Naschwerk für die fünf Personen, die sie nur waren. «Ich vermisse nichts», sagte Gehling höflich.
    «Doch, das tun Sie», lachte Elise. «Ich hab es Ihnen genau angesehen. Was ist also Ihr Lieblingsgebäck?»
    Gehling lachte ebenfalls. «Also nein, Fräulein Best, zu liebenswürdig, aber ich bin wirklich ganz zufrieden.»
    «Wer’s glaubt, wird selig», neckte übermütig die Tante. «Meine Nichte hat recht. Ihr Lieblingsweihnachtsgebäck ist nicht dabei. Immer nur raus mit der Sprache.»
    «Ich mag die böhmischen Kipferl», gestand das graue Männchen ein wenig verschämt. «Zu Hause in Dingelstedt bekomme ich sie nicht, aber ich hatte gehofft, hier in Süddeutschland …»
    «Da hoffen Sie ganz
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