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Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Titel: Eisseele - Schlieper, B: Eisseele
Autoren: Birgit Schlieper
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tiefer einatmen als bis in den Kehlkopf. Maximal.«
    Zoe guckt sich im Spiegel an. Ohne Haare und ansonsten in Schwarz gehüllt, fühlt sie sich fremd. Aber genau das Gefühl ist ihr ja eben nicht fremd.
    Schon kurz nachdem das Training angefangen hat, versteht Zoe, warum die Dance-Instruktorin die Anzüge verteilt hat. Jetzt ist es nicht nur die akustische Monotonie, die die Szene beherrscht. Auch optisch wird’s klar, geradlinig. Zoe mag es. Sie fühlt sich wieder als Teil einer Masse. Fühlt wie sie von der Gruppe aufgesogen wird. Vierzehn fast identische Körper lassen sich von dem Takt mitreißen. In der Anonymität, in der parallelen Bewegung kann sie sich noch besser fallen lassen, aufgehen in dem Klang, dem harten Sound. Ihre Identität, ihre Zwänge, ihre Erinnerungen hat sie in der Umkleide an den Haken gehängt. Am liebsten würde sie den Anzug für immer anlassen. Aber das Gefühl wäre ja eh nicht das Gleiche – diese Leichtigkeit gab es nicht da draußen auf der Straße, in ihrem Alltag.
    Als sie kurz vorm Abendessen zum Gartenhaus schlendert, hört sie plötzlich ihre Mutter hinter sich.
    »He, wo willst du hin? Wenn du vorhast, dir die Harke zu holen, um hier das Laub zu beseitigen, will ich dich nicht aufhalten«, lacht Sonja Kessler.
    »Eigentlich nicht. Wir sollen für Bio ein paar Wildkräuter mitbringen. Und ich dachte, die gibt es hier hinten im Garten doch reichlich«, kommt Zoe schnell eine Lüge über die Lippen.
    »Wildkräuter? Bei uns früher hieß das noch Unkraut. Aber tu dir keinen Zwang an. Von mir aus kannst du alles mitnehmen.«
    Zoe lächelt freundlich und fängt an, Grünzeug aus dem Beet zu reißen. Immer wieder linst sie Richtung Terrasse. Als sie ein Brüllen hört, weiß sie, dass ihre Mutter mit Franzi beschäftigt ist. Wahrscheinlich bekommt die gerade eine neue Windel – das findet diese meistens nicht wirklich gut. Schnell schiebt sich Zoe ins Gartenhaus und wird von Johnny stürmisch begrüßt. Sie wehrt ihn mit dem Fuß ab und füllt Wasser nach. Er stürzt sich sofort auf die Pfütze. Auch die trockene Brotscheibe, die Zoe mitgebracht hat, verschlingt er sofort. Noch kauend trippelt er zur Tür, kratzt mit der Pfote dran. Keine Frage: Johnny will raus. Zoe überlegt, ob es schon so weit ist. Am Nachmittag hatte sie mehrere Fotos an Bäumen gesehen. Frau Bruns hatte das Viertel mit Vermisstenanzeigen nach Johnny gepflastert. Sie hatte ein Bild genommen, auf dem sie zusammen mit ihrem Hund zu sehen war. Darunter stand mit großer Schrift » VERMISST «. Im ersten Moment wusste man gar nicht genau, wer jetzt gesucht wurde: der Hund oder die alte Dame mit der lustigen Frisur.
    Zoe guckt den Hund an. Ob er weiß, wie sehr er vermisst wird? Sie beschließt, Johnny noch mindestens eine Nacht zu verstecken. Jetzt, wo es hell ist, kann sie ihn eh nicht laufen lassen. Sie legt ein paar Schokokekse unter die Sitzbank. Johnny reagiert sofort und holt sie sich. Den Moment nutzt Zoe aus, um sich davonzustehlen. Dabei weiß sie ja genau, wie er sich fühlt. So gefangen. Ihr Gefängnis ist nur in ihr. Unsichtbar. Das macht es nicht besser.
    »Die Bestätigung ist gekommen!« Beim Abendessen wedelt Zoes Mutter aufgeregt mit einem Briefumschlag. »Hier sind auch noch Fotos von unserem Bungalow und der ganzen Anlage. Es sieht wirklich super aus. Ich würde am liebsten sofort die Koffer packen.«
    Zoe schnappt sich die Post aus Frankreich. Sieht echt ganz gut aus. Lachende, braun gebrannte Menschen, viel Meer, feiner Sand, sehr bunte Cocktails.
    »Super, außer dass wir wahrscheinlich Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 90 mitnehmen müssen. Im August wird es da bestimmt glühend heiß«, mischt sich Stefan Kessler ein.
    Sonja Kessler versucht böse zu gucken. »Tut mir ja auch leid, dass ich vorher noch in der Probezeit bin und nicht weg kann. Wenn ich einen guten Anwalt hätte, hätte der ja vielleicht was für mich machen können. Aber ich kenne leider keinen guten«, grinst sie in Richtung ihres Mannes.
    Der hält die Gabel in ihre Richtung. »Ich würde dir jetzt gerne ein kleines Piercing machen. Wo möchtest du es haben? Lieber an der Augenbraue oder an der Lippe?«, lacht er zurück.
    Sonja Kessler greift sich ihre Gabel und piekt ein paar Oliven vom Teller ihres Mannes auf. »Konzentrier du dich lieber auf deine Badehosenfigur. Hast du gesehen, wie durchtrainiert die Männer in dem Katalog aussehen? Da gibt es für dich noch einiges zu tun.«
    »Sei mal lieber etwas netter zu mir.
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