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Eiskaltes Herz

Eiskaltes Herz

Titel: Eiskaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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Englisch und in der Matheklausur bekam ich eine Zwei. Die Blumen für Vanessa waren mittlerweile verwelkt, die Plüschtiere und Briefe vom Regen aufgeweicht und von irgendeiner entschlossenen Lehrkraft entsorgt worden. Lediglich ein großes Foto mit schwarzer Schleife hing noch unten im Foyer, daneben eine vollgeschriebene Wand aus Papier mit Gedanken und Kommentaren. Die Vanessa-Klinger-Klagemauer. Bislang hatte ich vermieden, dort etwas zu lesen, heute trieb mich eine unsichtbare Macht dahin. Nur die Besten sterben jung. Eintragischer Verlust eines wunderbaren Menschen. Deine Freundlichkeit und Selbstlosigkeit bleiben in unserer Erinnerung. Wenn es Engel gibt, dann war Vanessa einer.
    Es war unglaublich, all dies zu lesen und dabei an ihr Tagebuch zu denken. Ich musste mich zwingen, dass sich kein irres Grinsen in mein Gesicht schlich.
    »Lena?« Tine kam auf mich zu. Sie lächelte etwas verwirrt, wunderte sich offenbar, dass ich vor der Klagemauer stand. »Alles klar?«
    »Hey. Ja, alles klar. Und bei dir?«
    »Ja, doch.« Sie druckste ein bisschen herum und kam dann auf den Punkt. »Ich fühle mich total schlecht, Lena. Wollen wir nicht irgendwas zusammen machen? Weggehen? Ins Kino? Im Kepplerpark hat der Rummel seit heute auf. Ich fahre auch mit dir Achterbahn.« Sie lächelte entschuldigend. Es war eindeutig ein Versöhnungsangebot. Und Tine konnte ja nichts dafür, dass ihre Eltern so bescheuert waren. Ich sehnte mich nach einer Vertrauten, schließlich war so viel passiert. Und ich wollte mit irgendjemandem teilen, was gestern zwischen mir und Leander passiert war. Aber nicht so zwischen Tür und Angel.
    »Klar. Vielleicht morgen?«
    Sie nickte und strahlte. Dann zupfte sie plötzlich an meiner Tasche. »Dein Handy rutscht gleich raus.«
    Ich sah nach unten und erschrak. Es war nicht mein, sondern Vanessas Handy, das aus einem Loch in der Tasche herausragte. Meins war weiß, aber das hatte Tine zum Glück vergessen.
    »Ich … danke.« Ich presste die Tasche an mich wie ein Baby.
    Tine runzelte leicht die Stirn, sagte aber nichts.
    »Ich ruf dich an, okay?« Ich winkte ihr kurz zu, lief die Treppen hoch zu den Schränken der Oberstufe. Ich benutzte meinen nur noch selten, meist nur, um Sportzeug zu verstauen. Aber jetzt kam mir der Schrank gerade recht. Ich konnte echt nicht riskieren, dass ich das Handy verlor oder es mir jemand aus der Tasche klaute. Ich sah mich kurz um, legte Vanessas Handy in den Schrank und versperrte das Nummernschloss. Beinahe hätte ich die 1892 genommen. Noch drei Stunden bis Schulschluss. Dann würde ich, das war mein Plan, zurück zu Leander gehen. Der sollte den Typen das Handy geben. Damit gewannen wir Zeit. Und ich würde irgendwie das Video an die Polizei mailen, mir würde schon etwas einfallen.
    Die letzte Stunde war Deutsch, einige letzte Nachzügler mussten noch ein Referat über ein zeitgenössisches Buch halten und so hörte ich qualvolle 45 Minuten lang zu, wie sich Julia und noch ein paar andere durch ihre zerknitterten und weich geschwitzten Blätter stammelten und dabei immer wieder den Faden verloren. Einer hatte sein Buch eindeutig nicht gelesen und stritt bis über das Klingelzeichen hinaus mit Frau Pfeifer herum, indem er behauptete, eine andere Ausgabe als sie zu haben.
    Nichts wie weg. Ich war schon halb aus der Tür, als Tine mich rief.
    »Lena, warte.« Sie kam auf mich zugerannt und drückte mich. »Wir wollen doch heute schon auf den Rummel, kommst du mit?« Hinter ihr standen Nadine und Julia. Julia lächelte wie eh und je und Nadine kam tatsächlich auf mich zu und zupfte an meiner Jacke.
    »Sieht süß aus«, sagte sie. »Also – was ist? Da gibt's angeblich Bratwürste, die einen halben Meter lang sind.« Mein Magen knurrte verräterisch.
    »Und Zuckerwatte«, sagte Julia. »Und ein Fahrding, das Octopussy heißt, und ein endgeiles Teil namens Mixer .«
    »Aber Lena darf nicht so viel essen, wenn sie im Mixer fahren will, sonst kotzt sie wieder in die Büsche wie letztes Jahr«, sagte Tine.
    Wir lachten alle los. Es war unendlich befreiend. Wir lachten und lachten bei der Erinnerung an den genialen Tag vor einem Jahr, als wir zu viert lärmend über den Rummel gezogen waren und Junkfood in uns reingestopft hatten.
    »Nur wir vier«, fügte Tine hinzu. »Nur wir Mädchen.«
    »Ich …« Ich biss mir auf die Lippen.
    »Sag jetzt nicht, dass du nicht kannst, also echt mal.« Tine zog mich am Arm mit sich und ich genoss das Gefühl, wieder mit dabei zu

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