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Eiskaltes Herz

Eiskaltes Herz

Titel: Eiskaltes Herz
Autoren: Ulrike Rylance
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ob ich meinen Eltern von dem Video erzählen sollte. Früher hatte ich sie schließlich immer um Rat gefragt. Aber meine Mutter war mies drauf, regte sich auf der Heimfahrt über ihren Chef Dr. Rühmer auf und wie er offenbar glaubte, dass sie nichts Besseres zu tun hatte, als nun auch noch Putzfrau zu spielen und Patientenakten zu sortieren, nur weil die Rezeptionszicke blaumachte, und überhaupt, sie sollte sich endlich mal einen neuen Job suchen, am liebsten halbtags. Sie bremste zu hart und gab zu schnell Gas und schimpfte über alles, was unseren Weg kreuzte. Sie hatte nicht mal gefragt, wieso ich auf einmal wieder bei Leander war, wahrscheinlich hatte sie vor lauter Stress vergessen, dass ich gar nicht mehr mit ihm zusammen war.
    Jetzt mit dem Video anzufangen, war keine gute Idee, außerdem brachen meine Eltern, kaum dass wir zu Hause angekommen waren, einen heftigen Streit wegen einer Rechnung vom Zaun und ich verzog mich in mein Zimmer. Wie immer in der letzten Zeit inspizierte ich sofort alle Ecken, sah in denSchrank und unter das Bett, obwohl da nur Platz für ein Meerschweinchen gewesen wäre. Es war wirklich Zeit, dass das endlich aufhörte. Morgen.
    Ich holte das Handy heraus und dachte an Leander, der jetzt alleine im Baumhaus lag. Ob er an mich dachte? Seine Küsse brannten noch auf meiner Haut, sein Flüstern kitzelte mich noch wie ein zärtliches Echo. Es hatte sich verboten und falsch und doch so gut angefühlt.
    »… ich kaufe ja auch nicht dauernd neuen Krempel«, rief mein Vater gerade unten. »Zum Beispiel das hier – was ist das? Wozu brauchen wir das?«
    »Ein Juicer«, rief meine Mutter wütend zurück. »Damit du gesund bleibst und keinen Herzinfarkt bekommst!«
    Die Schritte meines Vaters stapften die Treppen zu meinem Zimmer hoch. Er klopfte halbherzig und kam dann rein.
    »Juicer«, sagte er und rollte mit den Augen. »Manchmal ist deine Mutter einfach …« Er schüttelte den Kopf. »Da war heute übrigens so ein Junge hier für dich«, sagte er.
    »Was?«, fragte ich alarmiert. »Wer denn?«
    »Hat seinen Namen nicht genannt. Wollte dich unbedingt sprechen.«
    »Wie sah er denn aus?«
    »Na«, mein Vater hob überfordert die Hände, »nicht sehr groß. Dunkle Jacke, kurze Haare. Leander war es nicht.«
    Es sollte wohl ein Witz sein, aber ich brachte nichtmal ein Lächeln zustande. Wer zum Teufel hatte hier geklingelt? Etwa der Einbrecher?
    »Was hat er gesagt?«
    »›Ist Lena da? Ich muss sie sprechen.‹ Und als ich verneint habe, hat er sich umgedreht und ist gegangen. Ziemlich flegelhaft, wenn du mich fragst. Aber so sind die ja wohl heute alle. Gangsterlook und dumme Sprüche.« Er winkte ab und ging runter.
    Gangsterlook. Wie hatte ich mir einbilden können, die würden mich hier in Ruhe lassen, nur weil meine Eltern zu Hause waren? Ich machte das Licht in meinem Zimmer aus und marschierte schnurstracks zum Fenster. Draußen war niemand zu sehen, nur Frau Wolters von nebenan mit ihrem Hund. Unsere Straße war auch abends viel zu hell, da konnte man sich kaum verstecken. Die Häuser hier waren keine sieben Jahre alt, die meisten Bäume noch kleine Pflänzchen. Irgendwo schepperte eine Mülltonne. Es sei denn, man versteckte sich direkt am Haus … Ich drehte mich um und lief hinunter. Leise kontrollierte ich, ob die Eingangstür, die Kellertür und die Tür, die von der Küche zum Garten hinausging, auch verschlossen waren. Gott sei Dank stritten meine Eltern immer noch leise im Wohnzimmer, wahrscheinlich über das Fernsehprogramm, und kamen nicht heraus. Kurz danach ertönte das Konservengelächter einer Sitcom. Mein Vater hatte also gewonnen. Ich ging wieder hoch und legte mich mit Vanessas Handy auf mein Bett. Ich sah mir das Video ein zweites Mal an, diesmal verstand ich noch weniger,was sie da gemacht hatte. Mit solchen Leuten ließ man sich nicht ein, das wusste doch jeder! Leanders Worte kamen mir wieder in den Sinn.
    Aber nur für mich, hatte er auf meine Frage geantwortet, ob der Rest der Notizen eine Bedeutung hatte. Ich sah mir den komischen Satz noch einmal an. Das Nussknacker-Ballett wurde 1892 zum ersten Mal im Mariinski Theater aufgeführt. Was hatte er darin noch entdeckt? Und warum wollte er es mir nicht sagen? Wir waren doch jetzt wieder zusammen. Oder? Ich war mir nicht sicher, wir hatten nicht darüber geredet. Das Nussknacker-Ballett. Da hatte sie die Clara getanzt, das wusste jeder, das war kein Geheimnis. Ich schüttelte ratlos den Kopf. Es ergab keinen
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