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Eiskalter Wahnsinn

Eiskalter Wahnsinn

Titel: Eiskalter Wahnsinn
Autoren: Alex Kava
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selten über ihre Patienten, und um Hilfe bat sie schon gar nicht. „In was für Schwierigkeiten?“
    „Ich weiß es nicht genau. Vielleicht ist ja gar nichts dran, aber ich würde mich besser fühlen, wenn jemand es überprüfen könnte. Sie hat mir Samstagnacht eine beunruhigende Nachricht geschickt. Ich konnte sie seither nicht erreichen. Dann hat sie heute Morgen unsere Sitzung versäumt. Das tut sie sonst nie.“
    „Hast du schon ihren Arbeitgeber oder ihre Familie angerufen?“
    „Sie ist Künstlerin, selbstständig. Sie hat keine Familie, außer ihrer Großmutter. Und zur Beerdigung eben dieser Großmutter war sie gefahren. Das ist noch so eine Sorge. Du weißt, was Beerdigungen emotional auslösen können.“
    Damit kannte sich Maggie allerdings aus. Selbst nach über zwanzig Jahren konnte sie an keiner Beerdigung teilnehmen, ohne Visionen ihres im Feuerwehreinsatz den Heldentod gestorbenen Vaters zu haben, wie er in dem großen Mahagonisarg lag, die Haare zur falschen Seite gekämmt, die verbrannten Hände in Plastik eingewickelt und an die Körperseiten gelegt.
    „Maggie?“
    „Könnte sie nicht einfach beschlossen haben, noch ein, zwei Tage zu bleiben?“
    „Ich bezweifle, dass sie das tun würde. Sie wollte eigentlich nicht mal zur Beerdigung fahren.“
    „Vielleicht hatte sie auf der Rückfahrt eine Autopanne.“ Maggie fragte sich, ob Gwen überreagierte. Es war doch durchaus logisch, dass jemand noch ein, zwei Tage auszuspannen versuchte, anstatt gleich wieder nach Haus zu einer Sitzung mit der Seelenklempnerin zu fahren, die analysierte, wie es einem ging. Aber Maggie wusste auch, dass nicht jeder auf Stress und Tragödien so reagierte wie sie selbst.
    „Nein, sie hat am Ort ein Auto gemietet. Das ist auch so eine komische Sache. Der Wagen wurde noch nicht zurückgebracht. Das Hotel sagte, sie hätte gestern ausziehen sollen, hat aber weder ausgecheckt noch mitgeteilt, dass sie länger bleiben möchte. Und sie hat gestern ihren Flug verpasst. Das ist nicht ihre Art. Sie hat psychische Probleme, jedoch nicht im Hinblick auf die Organisation ihres Alltags oder ihre Zuverlässigkeit.“
    „Du hast selbst gesagt, dass Beerdigungen emotional belastend sein können. Vielleicht wollte sie sich nur ein paar Tage freinehmen, ehe sie wieder in den Alltagstrott zurückkehrt. Außerdem würde mich interessieren, wie du rausgekriegt hast, dass sie ihren Flug verpasst hat?“ Fluglinien gaben nicht einfach so ihre Passagierlisten preis. Nach Gwens jahrelangen Predigten, sie solle sich beruflich gefälligst an die Regeln halten, erwartete Maggie nun das Eingeständnis eines Regelverstoßes von ihr. Genau betrachtet war Gwen an eine Menge Informationen gelangt, die normalerweise nicht herausgegeben wurden.
    „Maggie, da ist etwas faul“, erwiderte Gwen erneut eindringlich, jedoch ohne auf ihre Frage einzugehen. „Sie wollte sich mit jemandem treffen – mit einem Mann. Das hat sie mir auf Band gesprochen. Sie rief mich an, damit ich ihr dieses Rendezvous ausrede. Sie hat diese … diese Tendenz … also, Maggie, ich möchte nicht über Details ihres Problems reden. Sagen wir einfach, dass sie in der Vergangenheit in Bezug auf Männer einige sehr schlechte Entscheidungen getroffen hat.“
    Maggie sah über den Tisch und merkte, dass Tully sie lauschend beobachtete. Wie ertappt wandte er rasch den Blick ab. Ihr war seit kurzem aufgefallen, dass er an allem interessiert schien, was Gwen Patterson betraf – obwohl er das zu verbergen suchte. Oder bildete sie sich das ein?
    „Was willst du damit sagen, Gwen? Glaubst du, dass dieser Mann ihr etwas angetan hat?“
    Wieder Schweigen. Maggie wartete. Erkannte Gwen inzwischen, dass sie überreagierte? Warum sorgte sie sich ausgerechnet um diese Frau so sehr? Sie hatte nie erlebt, dass Gwen eine Art Kindermädchenfunktion bei ihren Patienten übernahm. Bei Freunden schon, aber nicht bei Patienten.
    „Maggie, hast du eine Möglichkeit, die Sache zu überprüfen? Kannst du irgendwo Erkundigungen einziehen?“
    Maggie sah wieder zu Tully. Der hatte seinen Lunch beendet und blickte scheinbar desinteressiert aus dem Fenster. Unten schlängelte sich eine weitere Rekrutengruppe in verschwitzten T-Shirts zwischen den Bäumen hindurch.
    Maggie pickte mit der Gabel auf ihrem Teller herum. Wieso spielte Gwen plötzlich die Fürsorgerin? Der Fall schien doch ziemlich eindeutig zu sein. Da nahm sich jemand ein paar Tage, um zu trauern, und fand vielleicht Trost bei einem
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