Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eiskalte Verfuehrung

Eiskalte Verfuehrung

Titel: Eiskalte Verfuehrung
Autoren: Linda Howard
Vom Netzwerk:
beste Zeitpunkt für ihre Flucht gekommen.
    Sie sah sich noch einmal kurz im Zimmer um – vielleicht konnte sie ja sonst noch etwas gebrauchen? Nur die Kissenbezüge lagen noch da, aber jede Kopfbedeckung war besser als nichts, und so knotete sie sich kurzerhand das Ding über den Kopf. Ihr Schlafanzughemd musste als Schal herhalten. Darüber befestigte sie das Flanellhemd.
    Lolly packte ihr provisorisches Seil; noch einmal zurrte sie an dem Knoten, mit dem es ans Bett gebunden war. Während sie rücklings zum Fenster ging, testete sie auch die anderen Knoten. Sie schienen alle ziemlich solide zu sein und würden wohl halten.
    Jetzt oder nie. Vorsichtig entriegelte sie das Fenster und zog den Griff nach oben. Nichts passierte. Sie zog erneut, mit so viel Muskelkraft, wie ihr geblieben war. Immer noch nichts. Lolly wurde wieder speiübel. Das verdammte Fenster blockierte, und wenn sie es nicht irgendwie aufbekam, dann saß sie hier fest. Verzweifelt packte sie mit beiden Händen den Griff, beugte die Knie, um auch ihre Beinmuskulatur zu nutzen, und mit einem ohrenbetäubenden Lärm – so schien ihr zumindest – bewegte sich das Fenster kaum einen Zentimeter nach oben, bevor es wieder feststeckte.
    Sie lehnte ihren Kopf an die kalte Glasscheibe und atmete tief durch; nur vage spürte sie, wie gut sich die Kälte an ihrer Stirn anfühlte. Sie konnte es schaffen. Sie musste es schaffen. Falls nötig, würde sie eben die Scheibe einschlagen und das Risiko eingehen, dass die unten den Lärm hörten. So oder so, aus dem Haus käme sie raus.
    Etwas rumpelte seitlich ans Haus, direkt unterhalb des Fensters, und sie erschrak zu Tode. Sie wusste nicht, was das Geräusch verursacht hatte; aber wenn Niki und Darwin es gehört hatten und nachschauen kamen, was dann? Lolly drehte den Kopf, den Blick in Agonie erstarrt auf die Tür gerichtet, und lauschte, ob sie die Treppen hinaufstiegen, aber sie hörte nichts. Wie von Sinnen packte sie den Fenstergriff erneut und zerrte daran.
    Plötzlich tauchte auf der anderen Seite des Fensters ein Männerkopf auf. Ihr entkam ein Schrei, und sie schlug sich die Hand vor den Mund, um ihn zu ersticken. Sie war so erstarrt vor Angst, dass sie sich kaum bewegen konnte, doch plötzlich erkannte sie ihn. Ihr Herz machte einen Satz, und ihr gaben fast die Knie nach. Die Erleichterung, die sie durchströmte, war so warm wie die Sonne, nach der sie sich in diesem Moment wie nach nichts anderem sehnte.
    Gabriel McQueen.

4
     
    Als Gabriel die Abzweigung von der Hauptstraße erreichte, lagen die Wolken so tief, dass er kaum noch etwas sehen konnte. Auch der Regen war stärker geworden. Der Sturm schüttelte die Bäume und pfiff um den Ford, als wollte er ihn umstürzen. Sturm war schlecht; die Äste würden noch früher brechen, die Bäume eher umstürzen.
    Er wäre jetzt viel lieber bei Sam, aber er dachte nicht einen Augenblick daran, umzudrehen und einfach seinem Dad zu sagen, dass er es nicht auf den Berg hinaufgeschafft hatte. Aufgeben war in seinem Gencode nicht angelegt. Er würde Lolly von diesem Berg herunterholen, und wenn er sie an den Haaren herunterzerren musste – was sein Vater wohl kaum im Sinn gehabt hatte, als er Gabriel zu seiner Mission losschickte, aber der Sheriff kannte Lolly nicht so gut, wie Gabriel sie kannte.
    Sie war schon immer eine verzogene Göre gewesen, hochnäsig, überzeugt, etwas Besseres zu sein als alle anderen. Manche Kinder konnten gut damit umgehen, wenn man sie frotzelte. Lolly nicht. Feindseligkeit hatte sich in ihr breitgemacht. Einmal hatte sie ihn mit absoluter Geringschätzigkeit angesehen und gesagt: »Wurm!« Er hatte seine Reaktion zu verbergen gewusst, aber tief im Innern war er wütend gewesen, weil sie ihn mit diesem einen Wort so total abgelehnt hatte. Er war der Sohn des Sheriffs, er war beliebt und sportlich und überall gern gesehen, und sie hielt ihn für einen Wurm ? Wer meinte sie denn, wer sie war? Ach ja, sie war eine Helton , und sie pflegte mit Leuten wie ihm keinen Umgang.
    Sie hatte sich von allen anderen ferngehalten, gehörte nicht mit zur Meute, nahm nie an einer Party teil. Rückblickend fragte sich Gabriel, ob man sie überhaupt je zu einer eingeladen hatte. Wohl schon – aber nur, weil sie die Tochter des Bürgermeisters war. Von den Kids hatte sie jedenfalls keiner gemocht und sie deshalb auch nicht eingeladen. Er wusste nicht, ob ihr das etwas ausgemacht hatte, denn sie war ja nun wahrhaftig kein geselliges Mädchen gewesen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher