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EISKALTE UMARMUNG: Poesie der Angst. Thriller

EISKALTE UMARMUNG: Poesie der Angst. Thriller

Titel: EISKALTE UMARMUNG: Poesie der Angst. Thriller
Autoren: Astrid Korten
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machte. Berauscht von ihrem Anblick, folgte er Julia eine Woche lang wie ein Drogensüchtiger seinem Stoff. Am Abend stieg sie in den Bus, der nur wenige Meter von ihrer Wohnung entfernt hielt. Fast immer war sie in Begleitung eines anderen Mannes, und anfangs war er ärgerlich deswegen. Worte wie „unartig“ und „ungezogen“ kamen ihm in den Sinn.
    Nach drei Tagen verlor er die Kontrolle: Ungezogen wich moralisch verwerflich , Ärger wich Wut, und nach einer Woche wurde aus Zorn maliziöser Hass. Heute Abend war er – übel gesinnt – mit ihr in den Bus gestiegen, denn sie war allein. Irgendwann trafen sich ihre Blicke, sie lächelte ihn an mit makellosen Zähnen. Das bedeutete ihr Todesurteil.
    Der Parkplatz war noch immer menschenleer. Jakob nahm einen kräftigen Lungenzug, verdrängte die Erinnerung, öffnete die Augen und betrachtete den sternklaren Himmel. Nirgends rührte sich etwas. Er glaubte, dass selbst der Wind einen Moment den Atem anhielt.
    Er würde Julia töten. Er sah bereits das Entsetzen auf den Gesichtern der ermittelnden Beamten, wenn sie die Leiche fanden. Und wenn sie mit ihren Recherchen begannen, würden sie lediglich erfahren, dass ein elegant gekleideter, schlanker Mann mit dichtem schwarzem Haar und dunklen Augen mit ihr ausgestiegen war und neben ihr herging. Die Frau hatte den Mann angelächelt, ihn animiert mit ihrem kurzen Rock und ihrem zu knappen Pullover. Das wäre alles, was die ältere Frau und der junge Mann mit den Walkman-Hörern auf den Ohren aussagen würden.
    Der Rauch seiner Zigarette hing träge in der Luft. Jakobs Blick folgte einer einzigen dunklen Wolke, die an der Sichel des Mondes vorbeizog. Tausende Sterne schauten auf ihn herab.
    Für einen Moment schloss er erneut die Augen und konzentrierte sich auf die Geräusche der Nacht, doch er hörte nur das pfeifende Dröhnen in seinem Kopf und den leisen Hauch seines Atems.
    „Morgen ist Sonntag“, flüsterte er. „Du wirst in Ekstase sterben. Du wirst mich anflehen, dich zu töten. Du wirst Schmerz empfinden. Ich kenne dieses Gefühl. Mit ihm zerfließt die Zeit, und sie formt sich aufs Neue. Ich muss dich töten, verstehst du? Denn dein Anblick öffnet eine Tür, hinter der die Alpträume der Vergangenheit lauern.“
    Jakob taumelte. Plötzlich war er wieder ein kleiner Junge, und das Kind näherte sich langsam der Vergangenheit, leise und in Erwartung von etwas Schrecklichem ...
    ***
    München, 1950
    Sie stehen vor dem Milchgeschäft, seine Mutter und er, in der engen Straße, dort, wo sie in die Hauptstraße mündet. Vor ihnen befindet sich ein bescheidener Stand mit Äpfeln, Birnen und Blattsalat. Links daneben führt eine verwitterte Gasse in einen dunklen Hof, in dem einige Milchkannen aus Aluminium stehen. Aber all das sieht er nicht. Er hat auch keine Augen für seine Mutter, die dem schwarzen amerikanischen Besatzungssoldaten im Jeep zulächelt, der an der Straßenecke angehalten hat. Er hat nur Augen für das breite, entwaffnende Grinsen des GI. Dann starrt er auf den Jeep, aus dem der schwarze Mann jetzt lässig herausspringt, und auf die Army-Boots, mit denen er auf ihn zukommt.
    „Hey, brown eye, I’ve got something for you!”
    Der Soldat wirft einen flackernden Blick auf seine Mutter, bevor er federnd in die Knie geht, aus einer der unzähligen Taschen seiner Uniform einen Riegel Schokolade zieht und dem Jungen lockend hinhält. Seine Mutter hockt sich neben ihn, so dass der GI ihre Seidenstrümpfe sehen kann. Sein Blick gleitet an ihren Beinen nach oben. Obwohl der Junge direkt neben seiner Mutter steht, traut er sich nicht, sie anzuschauen, um sie zu fragen, ob er auf den schwarzen Riesen zulaufen und sich die Schokolade abholen darf.
    „Geh!“, sagt sie und gibt ihm einen Klaps. „Geh, er tut dir nichts.“
    Und er geht.
    Als wäre es eine lästige Pflichterfüllung, hält ihm der dunkelbraune Riese mit dem pechschwarzen Blick den Riegel hin, den der Junge ängstlich und zögerlich nimmt. Dann beachtet ihn der Soldat nicht mehr und geht auf seine Mutter zu.
    Am Abend beobachtet der Junge durch das Schlüsselloch der Schlafzimmertür, wie seine Mutter in der Küche ihr langes, blondes Haar bürstet, bis es glänzt. Dann lässt sie mit grazilen Bewegungen einen kleinen Pinsel über ihre Fingernägel gleiten, die sich daraufhin zartblau färben wie ein sommerlicher Himmel. Wenig später läutet es.
    Der Junge hört das hohe Lachen der Mutter. Er sieht die Stiefel des schwarzen Riesen an
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