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Eisglieder am Dackelrücken - 44 Berliner Szenen (& eine Zugabe) (German Edition)

Eisglieder am Dackelrücken - 44 Berliner Szenen (& eine Zugabe) (German Edition)

Titel: Eisglieder am Dackelrücken - 44 Berliner Szenen (& eine Zugabe) (German Edition)
Autoren: Ansgar Warner
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jeder Ecke die Hölle von Kaprun erwarten: “Ich möchte das Flugzeug verpassen, das dann abstürzt.”
    Wie zur Bestätigung ist Kathrin Röggla dann auch gar nicht erst erschienen. So dass man ziemlich schnell den dialektalen Lautgedichten von Franzobel ausgeliefert ist. “BlunzenBrunzen”. “BrunzenBlunzen”. “BlunzenBrunzen”. Ginge es nach Franzobel, wäre auf der österreichischen Euromünze eine filetierte Blutwurstscheibe zu sehen. Felix Austria. Noch schnell einen Weißwein gekippt, Punschkrapfen gegessen und hinaus in das frostige Schneetreiben. “Dafür ist die Luft hierzulande nicht so bleihaltig”, meinte der Pförtner noch beim Öffnen der massiven Stahltür.

Ex ossibus ultor
    Sehr viel mit Klassenkampf hatte C. eigentlich nie am Hut. Arbeitet als Creative Writer bei DaimlerChrysler, wohnt bürgerlich in ruhiger Schöneberg-Lage, seine Freundin sammelt Hölderlin-Erstausgaben. Deswegen war ich doch ein wenig erstaunt, als ich eines Tages in seinem Bücherregal die blauen Bände der Marx-Engels-Gesamtausgabe stehen sah. Auf meinen fragenden Blick zuckte C.s Freundin vielsagend mit den Schultern und verschwand mit einem Manufactum-Katalog in der Küche.
    C. hatte also mal wieder schlecht geträumt. Diesmal war ihm sein Großvater väterlicherseits im Schlaf erschienen, Friede seiner Asche. Der längst Verblichene hatte ihn glatt überreden wollen, bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus sein Kreuz beim Direktkandidaten der CDU zu machen. Und im Unterlassungsfall mit schlimmsten Konsequenzen gedroht. “Ex ossibus ultor!”, gab der untote Lobbyist dem Enkel dann noch mit auf den Weg. “Aber ich hatte doch längst schon Briefwahl gemacht und ausgerechnet Stimmensplitting für Rot-Grün!”, raufte sich C. die Haare. Ich versuchte einzuwenden: “Ja, haben die denn damals auf der Oberrealschule überhaupt Latein gehabt?”. Doch C. meinte nur: “Schnickschnack, Vergil-Verse wurden auf jedem zweiten Kriegerdenkmal verwurstet.”
    Außerdem war die Rache aus der Gruft schon längst vollzogen. Denn am Tag nach dem Alptraum kam ein Anruf von C.s Eltern: Starke Regenfälle hatten den heimatlichen Keller überflutet, die unbezahlbare Sammlung von Lustigen Taschenbüchern (natürlich alles Erstausgaben) war nur noch Matsch. “Dabei sollte das mal ein Teil meiner Altersversorgung sein!” Offenbar hatte der erbarmungslose Wahlhelfer posthum den Generationenvertrag aufgekündigt. Doch so einfach ist C. nicht unterzukriegen. Durch das Wasser waren auch die Wehrmachtsorden des Großvaters zum Vorschein gekommen: “Die hatte er 45 hastig hinter dem Kartoffelregal untergeputzt.” C. hat nicht lange gefackelt: “Hab ich gleich bei Ebay vertickt, allein die Nahkampfspangen haben 250 Euro gebracht!” Den Gesamterlös hat C. umgehend in die blauen Bände investiert, mit Erfolg: Der Großvater hat sich nicht wieder blicken lassen.

Durchgeknallt am Ende der Welt
    So stellt man sich das Ende der Welt vor: ein Trödelladen ohne feste Öffnungszeiten, irgendeine von “Brumm & Rott Real Estate” notverwaltete Bruchbude und zuletzt ein Bauzaun mitten im Weg – “Fertigstellung der Brücke voraussichtlich 2003!”. Dahinter kommt erstmal nichts. Dann irgendwann der Wedding.
    Das diesseitige Ende Ende der Welt liegt im Prenzlauer Berg. Wenn ein Auto bis hierher gekommen ist und auf dem staubigen Schotter kehrt macht, bietet sich ein Schauspiel der besonderen Art. Zwischen aufgestapelten Kantsteinen, Gehwegplatten und Wasserrohren lauern drei mythisch aussehende Typen. In der Mitte ein muskulöser, stoppelbärtiger Rentner mit Sonnenbrille. Rechts und links neben ihm zwei hagere Helfershelfer mit abgewetzten Schirmmützen. Im Angesicht des Vorbeifahrenden springt der linke Mützenmann hastig auf und winkt wie ein Schiffbrüchiger auf einer einsamen Insel. Um seinen Hals baumelt ein selbst bemaltes Pappschild: “TV! Hifi! Defekt! Kaufe!”
    Diesen schwankenden Gestalten habe ich gestern meinen alten VEB-Robotron-Fernseher überlassen. Für zehn Mark hatte ich das Ding mal auf irgendeinem Flohmarkt geschossen. Der Ton funktionierte, das Bild meistens nicht. Bis ein Medizinstudent aus Westdeutschland, den ich gerade beherbergte, den Kasten bei laufendem Betrieb repariert hat. Das war während der WM-Endrunde. Sehr lange hat die Not-OP nicht vorgehalten: Letzten Sonntag beim Tatort fing der Apparat fürchterlich an zu qualmen. Jetzt weiß ich nicht mal, wer der Mörder war. Fast hätte ich die mythischen
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