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Eisglieder am Dackelrücken - 44 Berliner Szenen (& eine Zugabe) (German Edition)

Eisglieder am Dackelrücken - 44 Berliner Szenen (& eine Zugabe) (German Edition)

Titel: Eisglieder am Dackelrücken - 44 Berliner Szenen (& eine Zugabe) (German Edition)
Autoren: Ansgar Warner
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aus der Tasche: “Dänisch für Anfänger”. – “Hast du auch keinen Bock mehr auf Deutschland?”, fragte ihn spontan der Vokabelpauker und hielt sein Buch in die Höhe. Der Aktentaschentyp sah den Titel und nickte: “Ja, mir reicht’s, ich wandere aus. Mobbing im Betrieb, Sozialabbau, hässliche Innenstädte, in drei Monaten bin ich in Kopenhagen!” Das sah der Radfahrer – ein arbeitsloser Physiker – genauso: “Früher wollte ich immer nach Italien, Fiat 500, einsames Bauernhaus: aber unter Berlusconi leben? Nein, danke!”
    Also auf nach Skandinavien: gemäßigte Regierungen, unberührte Natur, funktionierendes Bildungswesen. Der Aktenkoffertyp hatte allerdings noch einen Grund für die besondere Eile. Seine Frau sei Dänin und habe seit Jahren fürchterliches Heimweh: “Sie knirscht mittlerweile sogar nachts mit den Zähnen.” Dann musste er allerdings zugeben: “Immerhin übernimmt die deutsche Krankenkasse die Kosten der Behandlung!”.

Leere Mattscheiben
    Wo früher C.s Fernseher stand, ein großes, schweres Gerät mit Holzfurnier, klaffte nur kurz eine Lücke. Kabelfernsehen? Satellitenfernsehen? Fernsehen übers Internet? “Alles Quatsch”, sagt C., “Hightech für dutzende schlechter Programme hat sich noch nie gelohnt.”
    C. hat die einmalige Chance genutzt, die digitales Antennenfernsehen bietet. Die GEZ bekam die Mitteilung, er sei jetzt nur noch Rundfunkteilnehmer. Die Leerstelle, die der Fernseher hinterließ, füllt jetzt ein altes Röhrenradio aus Bakelit. Gedämpft klingt hinter grauem Vorhangstoff die Stimme eines unsichtbaren Sprechers hervor. Der uralte Apparat fristete jahrelang ein Schattendasein im Keller. Nun steht der Televiseur im Dunkeln zwischen Briketts, Kartoffeln und Alteisen. Ab und zu steigt C. Mit ausgewählten Gästen hinab, stöpselt den Netzstecker in die Feuchtraumsteckdose und lässt eine der soliden Programmtasten einrasten. Der Bildschirm flimmert, aus den Lautsprechern kommt ein beruhigend monotones Gerausche. „Ist das nicht großartig!?“, ruft C. Dann, begeistert vom zweidimensionalen Schneegestöber.
    Während andere um die halbe Welt reisen, um eine Sonnenfinsternis mitzuerleben, wird C. Sich demnächst nach Frankfurt am Main begeben. Dort schalten sie in der Vorweihnachtszeit auch das terrestrische Antennenfernsehen ab. Wenn vom Sendemast auf dem verschneiten Feldberg die letzten analogen Fernsehwellen im Äther für immer verhallen, wird C. Irgendwo in der Mainmetropole vor einer leeren Mattscheibe sitzen und in schönster Adventsstimmung sein: “Von Christiansen, Maischberger und Raab wird nichts mehr übrig bleiben, absolut gar nichts! Das ist besser als Weihnachten!”

Der Totalverweigerer
    Einsam und ein wenig abseits der Bornholmer Straße liegt das ehemalige Pankower Botschaftsviertel wie im Dornröschenschlaf. Viele der kastenförmigen Betonbauten sind längst verlassen, Gras und Gebüsch wuchern hüfthoch. Immerhin: Die Kubanische Vertretung harrt noch tapfer aus, ein bunter Wimpel baumelt träge im Wind. Schräg gegenüber wirbt ein Plus-Markt für die Verbindung von Ökonomie und Hedonismus: “Prima leben und sparen”. Das Mehrzweckgebäude teilen sich die orange-blauen Lebenskünstler mit der Landfleischerei Neese. An der Außenwand leuchtet nicht ganz unpassend die Graffiti-Parole: “Wir trauern um Euer Gehirn.” Auch die Freie Deutsche Jugend nutzt diese Mauer für ihre Anschläge: “Spendet für Ringos Totalverweigerer-Prozess!”, fordern zahllose Plakate.
    Ringo aus Meck-Pomm ist nicht unterzukriegen. Sein Land wurde annektiert, das Volksvermögen geklaut, die Armee aufgelöst. Jetzt soll Ringo die olivgrüne Uniform der Besatzerarmee tragen. Tut er aber nicht. Schließlich fühlt er sich immer noch als DDR-Bürger. Pazifist ist er deswegen aber gerade nicht. Wie ich auf der Homepage der FDJ gelesen habe, hätte er nichts dagegen, in den Reihen der NVA für Frieden und Völkerfreundschaft zu kämpfen. Während Ringo im mecklenburgischen Standortgefängnis antifaschistische Kinderbücher liest, marschieren Rekruten “Heidi, heido, heida” singend am Zellenfenster vorbei. “Jeder Tropfen Schweiß in der Ausbildung spart Blut im Gefecht” – das wusste auch schon die NVA. Ringo hat ja angeblich Realschulausbildung. Doch beim Warten an der Supermarktkasse fällt mir dann ein: Auch bei den Beatles war Ringo eigentlich nicht gerade der Superüberflieger.

Quotenkiller
    “Du hast die Macht!” Mit diesen Worten wurde in
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