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Eis

Eis

Titel: Eis
Autoren: Erich Kosch
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vereinsamte Häuser, stieg zu den Fenstern hinauf und kratzte mit Fingernägeln an den Türen. Und geheimnisvolle, kalte Flämmchen, seltsame paarweise Glühwürmchen tanzten in der Polarnacht zu dieser nördlichen, heulenden, gewundenen Musik.
    Er schaute sich um. Es war ihm, als bewegten sich hinter seinem Rücken irgendwelche niedrigen, flinken Schatten, näherten sich ihm – und zogen sich zurück, sobald er sich umdrehte und seinen Stock schwang. Er beeilte sich, und es kam ihn an, auch seinerseits zu schreien und zu heulen, um diese Schreie zu übertönen und seine Einsamkeit und seine Angst loszuwerden. In einem Hof waren noch frische und blutige Häute zum Trocknen aufgehängt, und ein großgewachsener Mann, den er in der Dämmerung nicht mehr erkennen konnte, nahm sie eben mit Hilfe von zwei hochaufgeschossenen Buben von der Leine und trug sie ins Haus. „Sie fressen sie, wenn wir sie nicht hineinschaffen“, sagte er zu den Buben. „Sie werden immer mehr und immer frecher. Jetzt streunen sie schon vor Nacht hier ‘rum.“ Dann bemerkte er den Mann, der sich die Straße entlangschleppte, und rief: „He, machen Sie schnell! Es ist nicht gut, zu dieser Zeit allein auf der Straße zu sein. Schnell, sag ich, hören Sie sie denn nicht?“
    Aber er machte schon von selbst, so schnell er konnte. Er überquerte die Straße, stahl sich an dem Eishügel vorbei, unter dem sein Wagen noch an jenem Tage bestattet wurde, als der erste Schnee fiel und die Eiszeit begann, und er konnte nicht widerstehn, er mußte mit dem Stock ein bißchen dran ‘rumstochern. Die Hintertür kam zum Vorschein. Ein schöner Wagen einst, groß und geräumig, lederbezogen, mit weichen, bequemen Sitzen. „Ein ganzes Zimmer!“ hatten seine Gäste gesagt, wenn er sie ausfuhr, und sich in den parfümierten Sitzen gerekelt.
    Endlich ertastete er das Tor und klopfte an Krekićs Haustür. Längere Zeit und ohne Erfolg. Niemand meldete sich, aber er mit seinem schon geschärften Geruchs- und Gehörsinn spürte, daß hier, hinter dieser Tür, noch irgendwelche lebendigen menschlichen Wesen atmeten. Er begann mit aller Kraft zu hauen, als wolle er die Tür einschlagen. Etwas raschelte, die Tür wurde aufgeschlossen. Bleich und verstört zeigte Frau Krekuf sich darin. Hinter ihrem Rücken guckte Herrn Krekids spitze Nase hervor.
    „Was wollen Sie?“ fragte sie.
    „Ich bin Plećasch, der Generaldirektor.“
    „Der gewesene“, ergänzte Krekić mit schriller Stimme.
    „Ich war bei Ihrer Verwandten Dara. Ich hab sie nicht daheim angetroffen. Ich fürchte, sie ist vereist worden.“
    „Wir wissen das. Na und? Was kümmert es uns, was aus ihr geworden ist? Wir haben schon lange keine Verbindung mehr. Wir gehören, damit Sie’s wissen, zur ersten, zur geschützten Kategorie.“
    „Ich wollte hineingehn, die Tür war verschlossen, und ich konnte sie nicht öffnen. Dann hab ich den Genossen Babic gesucht.“
    „Auch er interessiert uns nicht. Wollen Sie uns vielleicht sagen, daß auch er vereist worden ist?“
    „Nein, wieso denn? Er stellt doch die Listen zusammen und bestimmt die Kategorien. Aber er war nicht daheim. Auch in seine Wohnung konnte ich nicht.“
    „Da schau her! Wer hätte das gedacht. Und warum haben Sie ihn nicht bei Protić gesucht? Vielleicht macht der die gleiche Arbeit.“
    „Auch bei ihm bin ich gewesen, aber auch dort konnte ich nicht hinein.“ Er verstummte, stahl sich an die Tür heran und fügte mit gesenktem Kopf hinzu: „Er wollte mich nicht einlassen. Er sagte, er habe Damenbesuch, und schlug mir die Tür vor der Nase zu.“
    Sie antworteten nicht. Sie taten, als hätten sie’s überhört, obwohl es sie doch interessieren mußte, und Frau Krekić zog die Tür noch etwas mehr zu. Jetzt waren von den beiden nur noch die Nasen zu sehn.
    „Aber wer zwingt Sie, von Haus zu Haus zu gehn?“ fragte sie. „Wo hat man je gesehn, daß man so was in der Eiszeit tut?“
    „Was suchten Sie denn bei Protić?“ fragte Krekić, hinter dem Rücken seiner Frau versteckt. „Und warum wollen Sie überall hineingehn?“
    „Nur so, wegen gar nichts“, log er. „Wir haben uns ganz einfach lange nicht mehr gesehn. Ich wollte ein freundschaftliches Gespräch führen – zum Beispiel über zeitgenössische Lyrik und moderne Malerei. Und er, ich bitt Sie, mußte mir grad das antun! Vor der Nase!“
    Er gab sich Mühe, möglichst natürlich und frei zu sprechen, im Plauderton, wie vor einem halben Jahr, als er bei ihnen auf dem
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