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Eis

Eis

Titel: Eis
Autoren: Erich Kosch
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„Gewesener Direktor einer gewesenen Direktion.“
    „Schau an!“ sagte der andere. „Wie heißt du denn?“
    „Plećasch. Stojan Plećasch, genannt Stole.“
    „Nicht möglich! Wer hätt das gedacht! Nie hätt ich dich wiedererkannt. Als du Direktor warst, hast du viel höher und größer ausgesehn. Und ich armer Teufel hab von unten zu dir aufgeschaut.“
    „Nun gut“, getraute er sich zu fragen und machte die Augen weit auf. „Nun gut, verzeihen Sie, aber wer sind Sie denn?“ Es erschien ihm doch zuviel, daß Luzifer ihn kannte und daß er, Plećasch, sogar Luzifers Direktor gewesen sein sollte. Es stimmt, daß ich damals irgendein Herrgott war, rechnete er nach; und die Direktion hat ja auch manches Teufelsgeschäft gemacht – aber was zuviel ist, ist zuviel.
    „Ich? Ja, kennen Sie mich denn nicht, Genosse Direktor? Ihr Heizer aus dem Keller der Direktion Markovic.“
    „So? Der war allerdings immer schwarz und rußig, genau wie ein Luzifer. Und doch, wer hätte das gedacht! Man weiß nie, mit wem der Mensch es zu tun bekommt.“
    Er stand jetzt an einen früheren Leitungsmast gelehnt. Die Straße um ihn her war sein eigen: eine irdische Straße. Keinen halben Schritt von ihm entfernt ragte der mächtige, gewaltig gewachsene Heizer Milan empor mit seiner hohen spitzen serbischen Pelzkappe und dem Bärenfell um, das ihn noch wuchtiger machte. Der hielt ihn an den Schultern fest, dann ließ er ihn los und trat zurück, und er, Plećasch, spürte sofort die eigene, irdische Schwere in seinen linken Fuß zurückkehren. Und es tat ihm fast leid, daß es so war.
    „Schau, schau! Wer hätt das gedacht?“ wunderte der Jäger sich und maß ihn von weitem. „Was in nur sechs Monaten alles werden kann! Es ist noch wie gestern, daß Sie mir wie ein ganzer Berg vorkamen, und nun schauen Sie, zu was Sie zusammengeschrumpft sind!“
    Er setzte sich in Bewegung, wälzte sich massig und schwer die Straße hinab. Und er, der gewesene Generaldirektor an den Mast hinter sich gelehnt wie ein Bettler, Krüppel oder Besoffener, wagte sich nicht zu rühren und jammerte nur hinter dem anderen her:
    „Warten Sie, warten Sie doch, ich bitt Sie! Helfen Sie mir, daß ich zu meinem Freund Krekić komme. Und vielleicht könnt ich Ihnen in Ihrer Horde noch von Nutzen sein; wenn nichts anderes, so könnt ich Ihnen die Hunde hüten. So schwach und so klein bin ich nun auch wieder nicht! Ich komm Ihnen jetzt nur so vor, weil ich ohne Titel und Stellung geblieben bin.“
    Aber der Jäger mochte nicht warten. „Gut, gut! Wir werden sehn, wir werden’s vielleicht versuchen. Melden Sie sich morgen oder übermorgen bei mir!“ sagte er und warf ihm einen Stock zu. „Bedienen Sie sich damit!“ fügte er hinzu und rannte hinter seinem großen, vollbeladenen Jagdschlitten her. „Hej! Hej!“ hörte man ihn die Hunde anfeuern und mit der Peitsche knallen.
     
    Humpelnd, auf den Stock gestützt, sein Gesicht vor den Menschen verbergend, gelang es ihm gegen Abend, bis zur Skopska-Gasse vorzudringen. Zu dieser späten Stunde, da alles sich beeilte, unter das eigene Dach zu kommen, war es hier schon wüst und leer. Diejenigen, die mit Vorladungen in der Hand zum Messegelände gegangen waren, hatten ihren Bestimmungsort längst erreicht. Die Boten hatten die Vorladungen für den nächsten Tag ausgetragen, die Jäger saßen mit ihren Horden beim Nachtmahl, richteten Waffen und Ausrüstungen für die morgige Jagd her, hüllten sich in ihre Pelze und streckten sich neben den Feuerstellen nieder. Es gab keine Abendgesellschaften und keine Unterhaltungen mehr; auch mitten in der Stadt ging man nach ländlicher Art schlafen, bei Einbruch der Dunkelheit, und erhob sich bei Tagesanbruch.
    Alles war tot. Über den Häusern kein Rauchfähnchen, keine Lichtspur an den Wänden. Kein Ton, keine Stimme in der ewigen Stille. Nur als er eben in die Skopska-Gasse einbog, erscholl jener schon bekannte langgezogene Schrei, der wer weiß woher kam, vielleicht direkt vom Nordpol. Jenes besondere, an- und abschwellende Gebrüll, von dem den Menschen das Blut in den Adern gefror; jenes Wolfsgeheul, das mit der Abenddämmerung einsetzte und die ganze Nacht andauerte, bis es wieder hell wurde. Und seit einiger Zeit ließ das Geheul sich immer früher vernehmen, schon während des Tages, es kam immer näher, ertönte aus immer mehr Kehlen und von immer mehr Seiten. Von überallher. Bei Nacht schleppte der Schrei sich bereits durch die Straßen, strich um
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