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Einsame Herzen

Einsame Herzen

Titel: Einsame Herzen
Autoren: Desiree Cavegn
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Wochen mit Vorräten einzudecken, hätte sie sich nicht träumen lassen, dass sie zu einer Gefangenen des Feuerbergs werden würde, zu einer Gefangenen eines kalten, weissen Meeres. Aber genau so war es gekommen.
Am dritten November hatte der Schnee eingesetzt. Anfangs hatten sie und die Kinder sich noch darüber gefreut, hatten die tanzenden Flocken begeistert beobachtet, hatten draussen am Hang im Schnee gespielt, Schneeballschlachten gemacht und Schneemänner gebaut. Doch dann, als der weisse Vorhang undurchdringbar und zu ihrem täglichen Begleiter geworden war, hatte ihre Freude am Schnee schon bald nachgelassen. Die Kinder hatten sich nach schönem Wetter gesehnt, nach Sonnenstrahlen, die sie draussen beim Spielen wärmten. Danielle hatte inständig gehofft, dass der Schnee schmelzen und den Felsenpfad freigeben würde, jenen schmalen Pfad, eingekeilt zwischen hohen, steilen Felsen, der ihre einzige Verbindung zur Aussenwelt bildete. Danielle erkannte jedoch schnell, dass ihre Hoffnungen vergeblich waren. Warum auch sollte der Schnee schmelzen, jetzt, wo der Winter erst richtig Einzug gehalten hatte?
Danielle erinnerte sich wieder daran, wie erregt ihre Mutter und ihre Schwester gewesen waren, als sie ihnen von ihren Plänen erzählt hatte:
    Danielle? Das ist doch nicht dein Ernst? Du willst doch nicht den Winter auf dem Feuerberg verbringen? Du willst doch nicht im Niemandsland überwintern? Weisst du eigentlich, auf welcher Höhe diese Alpen liegen? Danielle, du bist doch verrückt!

Aber Danielle hatte sich nicht beirren lassen. Sie hatte ihre Entscheidung schon Wochen vor dem Gespräch mit ihrer Familie gefällt. Als sie im August dann auf den Feuerberg gezogen war, war für sie bereits festgestanden, dass sie auch die Wintermonate in den Bergen verbringen würde. Natürlich war ihr bewusst gewesen, dass der Winter hart sein würde, doch davon hatte sie sich nicht abschrecken lassen. Sie hatte fest damit gerechnet, dass sie auch im Winter Monat für Monat nach Domens fahren können würde, um sich mit den nötigen Vorräten einzudecken. Nie wäre sie auf die Idee gekommen, dass der Felsenpfad unter einer zwei Meter hohen Schneedecke versinken könnte und sie damit zu einer Gefangenen des Feuerbergs machen könnte.
Danielle stöhnte innerlich auf, als sie in die Gegenwart zurückkehrte. Wie sollte es nun weitergehen? Schnee, nichts als Schnee, soweit das Auge reichte. Im Sommer, als sie mit Emma und Louise hierhergezogen war, hatte sich die Natur noch in einem ganz anderen Kleid gezeigt. Der steile Berghang, an dem ihr Haus lag, war in einem saftigen Grün erstrahlt, hatte mit fröhlichen Büschen und starken Bäumen geprahlt. Die Sonne hatte den Feuerberg in warmes Licht getaucht und der Wald, der rechts von Danielles Haus lag, hatte einen angenehm kühlen Rückzugsort von der gleissenden Sonne versprochen. Die Berge, die an der Seite des Feuerbergs in den Himmel schossen, hatten eine würdevolle Ruhe und eine behagliche Stille ausgestrahlt.
Inzwischen aber hatte die Natur das grüne Kleid des Lebens abgestreift. Der Feuerberg war samt seiner Büsche und Bäume vom Schnee verschluckt worden, der die Wildnis nun mit kalter Hand regierte. Das neue Landschaftsbild erschien Danielle fremd und bedrohlich. Die wärmende Sonne war verschwunden, der Wald schien sich ihrem Haus drohend entgegenzuneigen und die Berge machten den Eindruck, als wollten sie das Haus mitsamt seinen Bewohnern verschlingen.
Danielle fühlte sich in die Enge getrieben wie ein gejagtes Reh. Die Natur hatte sich um sie geschlossen und hielt sie in eiserner Faust umklammert. Ein Entkommen gab es nicht.
Danielle seufzte verzweifelt.
Hätte sie auf ihre Mutter und ihre Schwester hören sollen? Die beiden waren ja nicht die Einzigen gewesen, die sie gewarnt hatten. Danielles Gedanken wanderten Widerwillen zu ihrem unsympathischen Nachbarn, der ihr unmissverständlich klar gemacht hatte, was sie seiner Meinung nach tun sollte.
Eigentlich war sie ja hierhergezogen, um Ruhe und Einsamkeit zu geniessen. Nun gut, hier oben gab es beides in Hülle und Fülle, dennoch war sie nicht ganz so einsam, wie sie es sich vorgestellt hatte. Nie wäre sie auf den Gedanken gekommen, an einem so verlassenen Ort wie dem Feuerberg Nachbarn zu haben. Sie war stets davon ausgegangen, dass alle Bewohner des Feuerbergs diesen Anfang des 20. Jahrhunderts verlassen hatten, damals, als das berüchtigte grosse Feuer das ganze Bergdorf verschlungen hatte. Jetzt, über ein
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