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Einsame Herzen

Einsame Herzen

Titel: Einsame Herzen
Autoren: Desiree Cavegn
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Jahrhundert später, hatte sie sich in die Fussstapfen ihrer Vorfahren gemacht und war auf den Feuerberg zurückgekehrt, war in eines der wenigen Häuser gezogen, die damals vom Feuer verschont geblieben waren.
Sie hatte schnell erkannt, dass sie nicht die Einzige war, die sich in die wilde Natur zurückgezogen hatte: Neben ihrem Haus gab es hier noch vier weitere Steinhäuser, die sich vor hundert Jahren im Kampf gegen die Flammen hatten behaupten können. Die vier Bauten legten sich wie ein vierzackiger Stern um ihr eigenes Haus. Danielle hatte fest damit gerechnet, dass sie allesamt leer stehen würden, genau wie vor vielen Jahren, als sie hier oben einst die Sommerferien verbracht hatte. Was für eine Überraschung, als sie erfahren hatte, dass drei der vier Häuser bewohnt waren. Im Haus zu ihrer linken, das unweit des Felsenpfades lag, wohnten die Zwillinge Jimmy und Ricky, zwei ungepflegte, übelriechende Männer Mitte Dreissig. Die Zwillinge konnten ihr Aussehen nicht mit ihrem Charakter wettmachen. Sie waren selbstsüchtig, schmierig und egozentrisch. Nach Danielles Einzug auf dem Feuerberg hatten sie sich ihr gegenüber zwar betont freundlich gegeben, doch Danielle hatte sofort gespürt, dass diese Freundlichkeit nur fingiert war. Die Zwillinge waren nur deshalb mit einem schmierig freundlichen Lächeln um ihr Haus gestrichen, weil sie die einzige Frau in dieser Handvoll Häuser im Niemandsland war.
Die zackenförmige Häusersammlung lag 1550 Meter über dem Meer, zwei Stunden vom nächstgelegenen Dorf entfernt, einer Zweihundert-Seelen-Siedlung namens Domens. Domens war für die Bewohner des Feuerbergs ein Synonym für die Zivilisation schlechthin, so ähnlich wie etwa New York für die Städter.
Als einzige Frau auf dem Feuerberg hatte Danielle die Aufmerksamkeit der Zwillinge zwangsläufig auf sich gelenkt. Ricky und Jimmy waren um ihr Haus gestrichen wie Hyänen, hatten ihr beinahe täglich Hilfe bei Garten- oder Hausarbeiten angeboten und ihr zahlreiche Geschenke gemacht, darunter hausgemachtes Brot, Kekse oder Kuchen. Die Backkünste der Zwillinge waren jedoch so beschränkt, dass Danielle und ihre Töchter sich nicht dazu gezwungen hatten, die verbrannten und geschmacklosen Esswaren hinunterzuwürgen.
Danielle bekam nun plötzlich ein schlechtes Gewissen. Vielleicht war der unendliche Schneefall eine Bestrafung dafür, dass sie den Esswaren der Zwillinge keine Wertschätzung entgegengebracht hatte. Vielleicht sollte sie deshalb Hunger leiden müssen.
In ein bis zwei Wochen wären ihre sämtliche Vorräte zu Ende. Falls die Zwillinge ihr in vierzehn Tagen noch immer Gebäck schenken würden, würden sie und die Kinder sich darauf stürzen wie auf frische Croissants. Nur blöd, dass der Geschenkfluss der Zwillinge bereits jetzt, wo sie Nahrungsmittel so dringend nötig gehabt hätte, versiegt war. Jimmy und Ricky mussten wohl eingesehen haben, dass sie ihre, Danielles, Gunst weder mit Keksen noch anderen Backwaren auf sich lenken konnten. Als die ersten Schneeflocken gefallen waren, hatten sich die Zwillinge plötzlich in ihrem Haus verkrochen wie Dachse im Bau. Seither hatte Danielle nicht mehr viel von ihnen gehört.
Wie also sollte es jetzt weitergehen? Wenn sie bloss weiterhin kummervoll auf weisse Bergspitzen starrte, würde sie Mitte Dezember dem Hungertod erliegen. Danielle vergrub das Gesicht in den Händen und stöhnte gequält auf.
Wenn es so weiter schneien würde wie bisher, worauf sie Gift nehmen konnte, wäre sie unweigerlich auf die Hilfe ihrer Nachbarn angewiesen. Ihre Vorräte neigten sich dem Ende zu und es gab keinen Weg, sich neue zu beschaffen. Dass sie sich Hilfe erbitten musste, stand also fest. Die grosse Frage aber war: Bei wem? An wen sollte sie sich wenden?
Sie hatte drei Nachbarn: Die schmierigen Zwillinge zu ihrer linken, den misstrauischen Einsiedler am Hang über ihr, der noch kein Wort mit ihr gewechselt hatte und den arroganten Mistkerl zu ihrer rechten, der sie am liebsten eigenhändig zurück ins Tal befördert hätte, kaum dass sie auf dem Feuerberg Fuss gefasst hatte.
Danielle hatte also die Qual der Wahl. Nur schon der blosse Gedanke daran, sich an die Zwillinge zu wenden, verursachte ihr Übelkeit. Sie sah die beiden mit ihrem fettigen, verfilzten Haar und der schmutzig grauen Haut vor sich und konnte sich einfach nicht vorstellen, auch nur einen Schritt in die Richtung ihrer verkommenen Hütte zu machen.
Der alte Einsiedler, der am Hang über ihr wohnte, schied
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