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Einmal scheint die Sonne wieder

Einmal scheint die Sonne wieder

Titel: Einmal scheint die Sonne wieder
Autoren: Betty McDonald
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aufsaßen, wenn sie so gegen zwei Uhr früh von ihrer Arbeit als Klavierspielerin in einer Tanzkapelle nach Hause kam. Mary bekam überhaupt keinen Schlaf, bewegte sich in einem ständigen Dämmerzustand durchs Leben, hatte eine zauberhafte, langsame und tiefe Stimme und einen trockenen, bissigen Humor, prophezeite mit Karten köstliche Reichtümer, spielte wundervoll Klavier und kam durch ihre Arbeit als Musikerin mit vielen ungewöhnlichen Leuten zusammen, darunter einem Warenhausdieb, der Mary ihr Hochzeitskleid zeigte und sagte: „Na also, morgen werd ich ja woll hin müssen und den Schleier klauen.“
    Unser gelegentlich anwachsender Haushalt war für eine liebe kleine Nachbarin, die ein geregeltes Leben führte und nur ein Kind hatte, eine solche Quelle der Verwunderung, daß sie meist am Sonntagmorgen herumgelaufen kam, um uns zu zählen und festzustellen, wer oder was hinzugekommen sei.
    Wir ziehen Mutter heute noch damit auf, daß Mary einmal gegen zwei Uhr nachts auf Zehenspitzen in ihr Zimmer kam und in das Dunkel hineinflüsterte: „Mach Platz, Sydney, ich schlaf mit dir.“ Mutter machte gehorsam Platz, und fragte dann mit ihrer sanften Stimme: „Wer ist denn da, bitte?“
    In diesem gemütlich bevölkerten Haus war eine Krankheit unwillkommen. Wir waren arm und hatten viele Rechnungen, und ein Glas Wasser mit einem Aspirin mußte jedem Leiden abhelfen. „Gott sei Dank, daß wir alle so gesund sind,“ sagten wir während der Krise als wir 342mal hintereinander Hackbraten aßen. „Wenigstens haben wir unsere Gesundheit,“ pflegten wir lachend zu sagen, wenn das Elektrizitätswerk den Strom abschaltete.
    Da war es mir peinlich, daß ich plötzlich meine Gesundheit nicht mehr zu haben schien. Vom Januar ab hatte ich eine Reihe schwerer Erkältungen, eine gleich nach der anderen. Sie fingen immer im Kopf an, und ich blieb einen Tag im Bett, trank Wasser und schluckte Aspirin. Dann verzog sich die Erkältung weiter nach unten, in die Brust, und da mir Augen und Nase nicht mehr liefen, fand ich, daß ich gesund sei, und ging wieder zur Arbeit.
    Bei der Arbeit verspürte ich leichte Rippenfellschmerzen im Rücken, nahm mich also vor Zug in acht und schluckte weiter Aspirin. Wenn mein Husten so fest saß, daß er mich schüttelte, holte ich mir bei einem zuverlässigen Drogisten einen Hustensaft, und nach einer Weile war der Husten gewöhnlich fort. Ein paar Wochen lang sah es dann so aus, als sei ich ganz in Ordnung, und, bums, kam eine neue Erkältung. Ich hatte keine Ahnung, woher und warum sie kamen, aber ich wußte, daß ich durch jede dünner und müder wurde. In Wirklichkeit entwickelte sich meine Müdigkeit so sehr zu einem Dauerzustand, daß ich sie gar nicht mehr bemerkte und glaubte, ich fühle mich wohl und sei kräftig, wenn ich eigentlich nur nicht ganz so müde war wie sonst.
    Vom Frühjahr ab war ich morgens beim Aufstehen todmüde, und wenn ich mich angezogen, eine Tasse Kaffee getrunken und eine Zigarette geraucht hatte, wäre ich am liebsten wieder ins Bett gegangen, anstatt mich ins Joch zu spannen und an mein Tagwerk zu gehen. Mit einer weiteren Tasse Kaffee und Zigarette, sobald ich im Büro ankam, und noch einer Tasse Kaffee und Zigarette um zehn Uhr gelang es mir, so viel Energie zu sammeln, daß ich mich gegen Mittag ganz munter fühlte. Am Nachmittag ließen meine Kräfte rasch nach, und um vier Uhr etwa war ich dann gewöhnlich so müde, daß ich in den Ruheraum ging und mich für fünf köstliche Minuten zur Erholung auf einer harten Holzbank ausstreckte.
    Ich konnte das nicht verstehen. Meine Arbeit war anstrengend, aber sie war interessant, und ich mochte die Menschen gern, mit denen ich arbeitete, und trotzdem mußte ich mich jeden Tag zwingen, ins Büro zu gehen. An den Wochenenden, wenn ich mich um den Garten kümmerte, das Haus putzte und mit den Kindern Spaziergänge machte, fühlte ich mich ganz wohl, und so legte ich mir zurecht, daß meine Müdigkeit irgendwie mit meiner Arbeit zusammenhinge und alles sich einrenken würde, wenn ich meinen Urlaub hätte.
    Seit Januar bemerkte ich auch, daß es mir vor den Augen flimmerte, wenn ich mich bückte. Sobald ich hinuntergriff, um einen Ordner aus einem tiefen Fach zu holen, verwandelte ich mich in ein blendendes Kaleidoskop von Sternen, Wirbeln, Blitzen und schwarzen, runden Tupfen. Galligkeit, dachte ich, nahm Kalomel und versuchte, mich nicht öfter zu bücken, als unbedingt nötig. Außerdem dachte ich, daß es
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