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Einige werden überleben

Einige werden überleben

Titel: Einige werden überleben
Autoren: Algis Budrys
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und jetzt hat er sich sein Gewehr geholt.“
    Besorgnis überschattete ihr Gesicht. „Was machen wir denn jetzt? Ich muß nach Hause.“ Sie suchte in den Taschen ihrer Jacke herum, bis sie die Tube Schwefelsalbe gefunden hatte. „Mein Vater ist verletzt.“
    Er nickte kurz. Das erklärte wenigstens, warum sie draußen gewesen war. Dann verzog er sein Gesicht. „Schußwunde?“
    „Ja.“
    „Dachte ich mir. Das Zeug taugt nichts. Jetzt nicht mehr.“
    „In der Apotheke waren so viele Sachen“, sagte sie unsicher. „Das hier war das einzige, bei dem ich mir sicher war. Ist es zu alt?“
    Er zuckte die Achseln. „Das Verfallsdatum ist auf jeden Fall schon lange überschritten. Und ich habe so das Gefühl, daß wir es mit einem ganzen Haufen Bakterien zu tun haben, die über das Zeug nur lachen. Jedes Scheiß-Antibiotikum in der ganzen Welt haben sie ausprobiert, und jetzt müssen wir uns mit den Dingern herumschlagen, die das alles überstanden haben. Ich setze inzwischen auf Seife und Karbol.“
    „Schlimm?“ fragte er plötzlich.
    „Was?“
    „Ist er schlimm verletzt?“
    Ihre Lippen zitterten. „Sie haben ihn vor drei Tagen durch die Brust geschossen.“
    Er grunzte und sah wieder nach den leeren Fenstern. „Sag mal, bleibst du hier, bis ich wieder zurück bin? Ich will dich noch heimbringen. – Du hast es nötig“, fügte er unverblümt hinzu.
    „Wo gehst du hin?“
    „Zur Apotheke.“
    Ihr Mund öffnete sich verwundert. Ihre Unschuld gehörte nicht auf diese tödliche Straße. Sie nahm einfach alles an, was er sagte. Das – und sogar die Tatsache, daß sie ihn nicht erschossen hatte, als er ihr die Pistole zurückgab – erfüllte ihn mit einem zwar grundlosen, aber heftigen plötzlichen Ärger.
    „Zum Telefonieren“, fügte er mit brutalem Sarkasmus hinzu. Dann bekam er seine Stimme wieder unter Kontrolle. „Wenn etwas passiert, dann unternimm nichts, sondern dreh dich um und geh heim“, sagte er mit sanfterer Stimme.
    Sein Ärger ließ nach, war aber noch immer heftig. Er sprang auf und lief los, ohne auf eine Antwort zu warten.
    Dumme Göre, dachte er, als er im Zickzack über die Straße rannte. Die sollte einfach nicht frei herumlaufen. Er überquerte den weißen Mittelstreifen, und immer noch hatte niemand geschossen.
    Wenn die Heckenschützen ein bißchen nachdenken würden, dann würden sie warten, bis er wieder hervorkam. Dann konnten sie beurteilen, ob seine Beute überhaupt der Mühe wert war.
    Wie hatte sie so lange überleben können? Seine Schuhsohle knallte gegen den Bordstein, und er warf sich über den Bürgersteig.
    Ich mit meinem Glück muß ausgerechnet von irgendeinem Idioten erschossen werden.
    Er riß die Tür auf und stürzte in die Apotheke. Am Tresen hielt er abrupt inne und griff nach einem der Hocker, um sein Gleichgewicht wiederzufinden. Er stützte sich einen Moment darauf ab und wartete, bis er wieder ruhig atmete.
    Sie rechneten sich wahrscheinlich gerade aus, wie am meisten herauszuholen war. Bei einem Mann mit einem Rucksack war die Versuchung wahrscheinlich nicht groß genug. Wenn er mit dem Mädchen wieder zusammen war, sah die Sache ganz anders aus. Ein Überraschungsangriff im Schutz der Dunkelheit hätte gute Chancen. Das Mädchen allein allerdings war sicher vor jedem, der einigermaßen gut sehen konnte. Solange er von ihr getrennt war, war auch er relativ sicher. Wenn er allerdings mit ein paar Paketen aus der Apotheke herauskam, würde sich das ändern. Es sei denn, der Fremde überlegte sich, daß es für ihn die beste Politik war, wenn er wartete, bis er wieder bei dem Mädchen war. Wenn dann der mögliche Heckenschütze schon eine Frau hatte …
    Er hatte die komplizierten Überlegungen satt, schlug seine Hand gegen die Kunststoffbeschichtung des Tresens und schob sich davon weg.
    Er fand eine Flasche Desinfektionsmittel, Verbandswatte und elastische Binden in den umgeworfenen Gestellen. Er verstaute sie sorgfältig in seinem Rucksack und ärgerte sich über sich selbst, daß er nicht gefragt hatte, ob das Geschoß noch in der Wunde steckte. Er zuckte die Achseln und sagte sich, daß er hier sowieso keine chirurgische Pinzette gefunden hätte, Apotheke hin, Apotheke her. Dann wendete er sich wieder der Eingangstür zu, die sich hell gegen den dunklen Laden abzeichnete. Er hielt inne.
    Der Laden war sicher, überlegte er sich. Das hatte ihm das Mädchen dadurch bewiesen, daß sie lebendig wieder herausgekommen war. Er hatte es geschafft
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