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Einige werden überleben

Einige werden überleben

Titel: Einige werden überleben
Autoren: Algis Budrys
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hineinzukommen. Jetzt, wo er einmal drinnen war, war das eine leicht zu verteidigende Stelle.
    Draußen lag die Vierzehnte Straße, das graue Band des Trottoirs, das der Wind fast sauber gefegt hatte, und das staubige Blaugrau des Asphalts. Dahinter drohten die kahlen Backsteingebäude mit ihren leeren Fenstern. Darüber erhob sich der eisblaue Himmel. Wartende Gewehre gab es nicht – zumindest nicht, wo er sie sehen konnte.
    Er sah sich um. Da war doch sicher noch etwas, was er gebrauchen konnte. Wenn er sich umsah, würde er bestimmt noch etwas finden. Wenn er sich lange genug umsah. Wenn er noch wartete.
    Er lachte einmal kurz über sich selbst und trat auf die Straße. Er rannte ebenso hektisch los wie das Mädchen. Sein Brustkasten hob und senkte sich rasend, sein Schritt wurde von dem Rucksack aus dem Gleichgewicht gebracht, und auf seinem Gesicht brach der Schweiß aus und verdunstete eisig.
    Es wurde ihm klar, daß er Angst hatte, aber da war er schon über die Straße gerannt, lag flach auf dem Bauch auf der Verkehrsinsel zwischen den Autos. Er sah zu dem Mädchen hoch und verstand mit einmal, daß er Angst davor gehabt hatte, die Zukunft zu verlieren.
    Er wartete eine kurze Zeit, bis sich sein Atem beruhigt hatte. Das Mädchen sah ihn an. Ein unerklärlicher Ausdruck glänzte auf seinem Gesicht.
    Endlich sagte er: „Jetzt wollen wir dich mal nach Hause bringen. Geh du vor, ich gebe dir Deckung von hinten.“
    Das Mädchen verschluckte, was auch immer es hatte sagen wollen, und nickte wortlos. Es drehte sich auf der Verkehrsinsel in die Richtung herum, aus der er gekommen war, und er folgte ihm. Sie arbeiteten sich zurück in die Richtung First Avenue. Bis auf ein kurzes Knurren, das immer dann von ihm kam, wenn sie sich nicht tief genug bückte, sagte keiner von ihnen ein Wort.
    Sie erreichten auf ihrem lautlosen Marsch einen Punkt gegenüber dem Stuyvesant-Gebäude an der Ecke der First Avenue. Das Mädchen hielt an, und Garvin schloß die Lücke von zehn Metern, die zwischen ihnen lag. Er kauerte sich neben ihr nieder.
    Er fühlte, wie die Finger seiner linken Hand zuckten. Die unentschiedene Rastlosigkeit seiner Muskeln verschaffte sich ein Ventil. Das Mädchen könnte ihn jetzt einfach stehenlassen. Es könnte Jahre dauern, bis er wieder eine Frau sah, besonders eine ohne Anhang. Er nahm jedenfalls an, daß sie frei war. Was wäre das denn für ein Mann, der seine Frau allein weggehen lassen würde? Wenn sie einen hätte, dann würde er es nicht verdienen, sie zu behalten.
    Garvin lachte wieder über sich selbst. Ihr Erstaunen über das kurze, scharfe Bellen beachtete er nicht.
    „Als ich zu der Apotheke aufgebrochen bin, war es noch dunkel“, sagte sie. Ihre Stimme verriet ihre Hilflosigkeit. „Ich habe aber so furchtbar lange gebraucht, bis ich etwas fand. Wie kommen wir denn jetzt wieder über die Straße zurück zu dem Haus?“
    Garvins auf Mißtrauen trainierte Sinne lehnten sich erneut gegen ihre Torheit auf. Jetzt hatte sie sogar die Tatsache verraten, daß ihre Wohnung praktisch nicht verteidigt wurde. Sie hatte fraglos angenommen, daß er mit ihr nach Hause gehen würde.
    Er schüttelte seinen Kopf und verachtete sich zu gleicher Zeit dafür, daß er empört über das Mädchen war, weil es genau das tat, von dem er gefürchtet hatte, es würde es nicht tun.
    Das Mädchen sah ihn fragend an. Wieder schwang in ihrem Blick noch etwas mit, das er nicht vollständig verstand. Ein kurzer Anfall von Ärger darüber huschte über sein Gesicht.
    Noch einmal schüttelte er den Kopf. „Wir müssen rennen. Ist aber leichter bei zwei Leuten“, sagte er. „Geh du zuerst. Ich gebe dir Deckung, und dann paßt du auf, wenn ich es versuche. Wenn du irgendwas siehst, dann schieß darauf.“ Er hob sein Schrotgewehr mit einer Grimasse. Es war eine gute Verteidigungswaffe, in einem Raum oder für den Straßenkampf hervorragend geeignet, aber die Reichweite war erbärmlich kurz. Jetzt wünschte er sich ein Gewehr mit größerem Aktionsradius.
    Er zuckte die Achseln und überprüfte, ob der Sicherungshebel des Schrotgewehrs umgelegt war. Er zeigte mit einem Kopfnicken auf das Gebäude. „Los.“
    „In Ordnung“, antwortete sie mit belegter Stimme. Sie drehte sich herum, glitt zwischen zwei Autos, senkte den Kopf und rannte blindlings über Fahrbahn und Bürgersteig in die Eingangstür des Hauses. Dort hielt sie an und wartete auf Garvin.
    Er sah sich schnell um. Er konnte nichts entdecken und folgte ihr.
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