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Einfach hin und weg

Einfach hin und weg

Titel: Einfach hin und weg
Autoren: Gerhard Jansen
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Sonne kämpft sich ihren Weg frei und verscheucht Wolken und Nebel. Der Himmel färbt sich blau und gibt den Blick frei bis zum Horizont, wo Berge und Himmel ineinander verschwimmen.
    Ich habe versucht, die Stimmung mit Fotos einzufangen. Es ist mir nicht gelungen.
     

    Eine Wanderung bei schönem Wetter hätte auch ihren Reiz gehabt, aber nie diese Empfindungen ausgelöst. Das war es, was ich erhofft hatte, erleben zu dürfen, ohne dass ich es vorher hätte beschreiben können. Völliges Losgelöstsein, Glückseligkeit für einen Moment.
    Als ich in O Cebreiro ankomme, ist dort Kirmes. Busse fahren vor, die Hunderte von Pilgern ausspucken. Im Dorf dröhnen die Lautsprecher mit keltischer Musik. Ein Andenkenladen reiht sich an den anderen. Ich setze mich auf eine Mauer und lasse meine Kleider auf den Steinen trocknen. Sofort bin ich von Buspilgern aus
    Deutschland und Österreich umlagert, die Fotos von Henriette machen. Ich lehne Fotos mit mir dankend ab.
    Da kommt Alice über die Straße gelaufen und winkt. Auch sie ist nass bis auf die Haut, die langen blonden Haarstränen kleben an ihren Wangen. Sie ist ebenfalls aufgewühlt von dem atemberaubenden Schauspiel der Natur, der überwältigenden Pracht dieses Spektakels. Beide strahlen wir um die Wette.
    Nach einer halben Stunde gehen wir weiter. Die Unterkunft hier im Ort wird renoviert und die Ausweichbetten befinden sich in Wohncontainern. Nicht gerade einladend.
    In Fonfría soll es eine gute neue Herberge geben. Da wollen wir hin. Insgesamt sind es 24 km, eine ganze Menge, wenn man bedenkt, dass ich eigentlich einen Ruhetag einlegen wollte. Bis Fonfría müssen wir noch auf 700 m hinab. Das war ein Tagespensum von 800 Höhenmetern rauf und runter. Es reicht!
    Eine der eindruckvollsten Etappen war das heute. Ich bin jetzt in Galicien und hier zeigen alle 500 m Betonklötze an, wie viele Kilometer es noch bis Santiago sind.
     
    Habe ich bisher die Zeichen bewusst nicht beachtet, weil ich es nicht wissen wollte, kann ich jetzt nicht mehr vorbeischauen. Heute hatte ich es genau vor Augen: 140 km bis Santiago.
    Da muss ich wirklich sehen, wie ich mir den Rest einteile, um ja nicht zu schnell am Ziel zu sein.
    Herrliche Herberge in Fonfría. Ich leiste mir mit Alice ein Zweibettzimmer mit eigener Dusche und so viel heißem Wasser wie wir wollen. Nur € 5 pro Person teurer als ein Bett im Schlafraum mit 50 Leuten. Das ist es mir wert!! Um halb neun bin ich im Bett und schlafe sofort ein. Alice trinkt an der Bar noch ein paar Bier. Ja, ja, die Iren...........
     

15.06.2007 Fonfría – Triacastela – Calvor - Sarria
     
    Nachts werde ich von starkem Sturm und Regen, der gegen das Fenster peitscht, geweckt.
    Morgens ist es trocken. War das eine Nacht! Ein Bett mit richtiger, sauberer Bettwäsche, ohne Schlafsack. 20 Minuten ausgiebiges Duschen und das Wasser bleibt heiß. Keine Schnarchsymphonien der Mitpilger, kein Plastikbeutelrascheln um 5 Uhr. Alles ungewohnt und von mir empfunden als absoluter Luxus! Ich koste das richtig aus, lasse Alice den Vortritt im Bad und sitze erst um 8 Uhr am Frühstückstisch. Manel hat eine Gitarre aufgetrieben und spielt am frühen Morgen spanische Volkslieder. Als er die bekannteren anstimmt, singen 10 Leute mit und wir haben ein richtiges Frühkonzert. Fiesta bis halb 10 und dann schultern wir unser Gepäck.
    Schon komisch! Beim Start auf dem Jakobsweg hatte ich immer wieder die unüberschaubare Strecke im Kopf, die vor mir lag. 830 Kilometer, dann 750, dann 700. Eine Summe, die irgendwie ungeheuer und mit dem Auto vielleicht noch erfassbar ist, aber nicht mit den Beinen. Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen, nur von Tag zu Tag zu denken, aber die Zahlen geistern am Anfang im Kopf rum ob man will oder nicht. Abhilfe schafft nur eine Reduzierung der Zahl, das heißt laufen, laufen, Kilometer fressen. Bei mir war es eine gesunde Mischung aus Ehrgeiz, Verbissenheit und Freude am Laufen, die mich zu Beginn schon früh aus dem Bett trieb und Etappen zwischen 25 und 40 Kilometer stiefeln ließ. Irgendwann legt sich dann die Hektik und man wird ruhiger, die Nächte werden länger und die Etappen kürzer. Das war nicht nur bei mir der Fall, sondern wurde mir immer wieder von anderen Pilgern bestätigt. Ein mit den Worten: „nur noch 5 Minütchen!“ verbundenes nochmaliges Ins-Bett-Legen nach der Morgentoilette wäre bei Beginn der Reise niemals vorgekommen! Jetzt passiert 's schon mal öfter.
    Um halb 10 ziehe ich also mit Alice
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