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Einfach hin und weg

Einfach hin und weg

Titel: Einfach hin und weg
Autoren: Gerhard Jansen
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Haus.
    Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das bei jedem Pilger, der an ihrer Kate vorbeikommt, tut. Vielleicht erinnere ich sie ja an ihren Sohn. Ich weiß es nicht, auf jeden Fall hat es mich sehr berührt. Und der Segen hat, wie meine spätere Ankunft in Santiago zeigt, geholfen.
    Auf unsere Terrasse in Wickrath stellen wir im Winter ein Vogelhäuschen auf, in dem sich unter anderem mehrere Buchfinkenpärchen tummeln. Brigitte und ich haben ihnen Namen gegeben. Die Männchen heißen Hermann, die Weibchen heißen Hermine. Und wenn ein Buchfinkenmann oder eine Buchfinkenfrau auftauchen, dann werden Hermann oder Hermine freudig begrüßt.
    Mehr als eine Woche auf dem Weg, denke ich intensiv an meine Frau und was wir in den letzten Wochen erlebt haben. Da kommt eine Hermine angeflogen, setzt sich 2 m vor mich hin, schaut mich für ein paar Sekunden an und fliegt wieder fort. Bis hierher und dann auch später bis Santiago habe ich nie mehr eine Hermine gesehen. Auch keinen Hermann.
    Freunde gaben mir beim Abschied einen Kieselstein, auf dem sie ein paar gute Wünsche auf geschrieben hatten. Den sollte ich bis Santiago schleppen und dann im Dom vor einem Kruzifix ablegen.
    Ich wollte ihn unterwegs ein paar Mal anschauen, suchte, fand ihn aber weder im Rucksack noch in anderen Taschen. Er war wie verschwunden. Erst einen Tag vor der Ankunft entdeckte ich ihn an einer Stelle, wo ich vorher mehrmals nachgeschaut hatte.
    Ein großer bunter Schmetterling, den ich fotografieren will, fliegt immer wieder weg. Ich verfolge ihn eine Zeitlang ohne Erfolg und gebe auf. Da kommt der Schmetterling zurück und setzt sich auf eine Blume, mit der ich Henriette geschmückt habe und bleibt sitzen, obwohl ich den Stock bewege. Fotografieren lässt er sich allerdings auch hier nicht.
    Ein Vogel fängt genau in dem Augenblick an zu singen, in dem ich an ihm vorbeigehe und als ich stehen bleibe, singt er weiter. Und dann sing ich auch: „Geh aus mein Herz und suche Freud in dieser schönen Sommerzeit an Deines Gottes Gaben.“ Wahrhaftig, der Vogel singt weiter und mir versagt die Stimme.
    Das sind Momente, in denen mir das Herz aufgeht vor Freude und Rührung.
    Um 7 Uhr breche ich in Cardeñuela auf und bin gegen 10 Uhr in Burgos. Zwischendurch kilometerweite Strecken über Asphalt durch Vorstädte, hässlich und mit vielen Industriebauten. Die Luft ist verpestet und ich sehe die ersten Pilger den Bus besteigen. Ich verkneife mir Bus oder Taxi und laufe, bis ich die Innenstadt erreiche, die für vieles entschädigt.
    Die wunderschöne Kathedrale stammt aus dem 13. Jahrhundert, viele weitere Monumente und Kirchen aus dem Mittelalter. Überall auf den Türmen und Giebeln Storchennester.
    Ich halte mich fast 3 Stunden auf und geh dann weiter, möchte nicht gerne in der Großstadt bleiben. Das ist nicht das Anliegen meiner Reise. Burgos und auch demnächst Léon sind zu groß, um in ein paar Stunden besichtigt zu werden. Selbst 2 oder 3 Tage reichen nicht aus, um alles kennen zu lernen. Also schaue ich mich ein wenig um, begnüge mich mit dem, was ich für sehenswürdig und schön halte und ziehe dann 10 km weiter bis Tardajos.
    Ich treffe auf Bernard und Paul, die beiden Franzosen und mit ihnen im Schlepptau ihre Landsmännin Marie-France. Robust, resolut, mit beiden Beinen im Leben stehend. Marie-France ist unsere „Marianne“, die französische weibliche Gallionsfigur. Stolze 67 Jahre alt, läuft sie uns allen, wenn sie will, davon. Das hat sie uns mehr als einmal gezeigt.
    In Tardajos logieren wir uns in der Pilgerherberge ein. Nach einiger Zeit kommt Marie-France auf mich zu und fragt mich, ob ich nicht bei ihr übernachten wolle. Sie zeigt mir ein kleines Zimmer mit einem Bett, daneben auf dem Boden eine Matratze. Ich sage sofort zu und jeder blödelt natürlich rum. Kurzerhand erklären wir unser Zimmer zur Hochzeitssuite.
    Im Grunde genommen sind alle eifersüchtig, denn Doppelzimmer sind Mangelware, daher äußerst begehrt und eigentlich nur für Schwerbehinderte reserviert.
    Der Herbergsvater ist ein lustiger Spanier, der mehrere Sprachen beherrscht. Eine Ausnahme. Meist geht alles auf Spanisch. So allmählich verliere ich die Scheu, taste mich wieder an Vokabeln und Sprache ran. Bleibt mir auch nichts anderes übrig. Die meisten anderen können noch nicht mal bis 3 zählen und ich muss für sie übersetzen, wenn ich erreichbar bin. Mal mit Händen, mal mit Füßen.
    Ich habe von Bernard erfahren, dass Marie-France schnarcht.
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