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Einfach hin und weg

Einfach hin und weg

Titel: Einfach hin und weg
Autoren: Gerhard Jansen
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in der Pilgerherberge ein, obwohl ich mir tagsüber versprochen hatte, nach den Erfahrungen der letzten Nacht ein Einzelzimmer in einer Pension zu mieten.
    Und jetzt? 90 Betten in einem Schlafsaal, jeweils 2 Duschen und 2 Toiletten für Männlein und Weiblein. Das heiße Wasser funktioniert nicht. Der Raum ist kalt. Aber es ist, so merkwürdig es klingt, die Atmosphäre und die Leute, die mich anziehen. Man muss es mitgemacht haben, um es begreifen zu können. Wer es nicht selbst erfahren beziehungsweise erwandert hat, wird es nicht und nie verstehen.
    Immer wieder kommen Pilger hinzu, die man noch nicht kennt und man freut sich, die Leute vom Vortag wieder zu sehen. Es gibt immer wieder Neues, interessante Gespräche oder auch nur ein Bierchen am Tresen und Austausch über den vergangenen Tag.
    Heute mache ich das wahr, was ich schon lange vorhabe. Ich gehe zum Friseur, lasse mir die Haare bis auf 1 mm abschneiden und besorge den Rest, mit dem Rasierapparat, in der Herberge. Kahlschnitt, bei uns im Rheinland nennt man das Plääät. Ich möchte alte Zöpfe abschneiden und das im wahrsten Sinne des Wortes. Natürlich nicht nur den Haarzopf, aber damit fang ich an. Rundherum ist die Kopfhaut etwas blass, aber das wird schon werden. Ich hoffe auf gutes Wetter.
    Abends trifft man sich hier im Aufenthaltsraum. Ich habe Gemüse und Eier eingekauft und stelle mich in die Küche. 8 Herdplatten, keine Arbeitsfläche. Und etwa 20 Leute wollen kochen. Jeder nimmt auf jeden Rücksicht und hilft. Der eine hat Öl, der andere Gewürze, dafür hat der nächste Essig und Senf. Ohne großen Aufwand kann jeder, der möchte, etwas auf die Teller zaubern.
    Nach dem Essen soll um halb 10 noch eine Pilgermesse sein. Ich will mich vorher noch ein wenig hinlegen. Ich bin fertig, bin müde und freu mich auf Gutschlaf.
     

29.05.2007 Najéra – Azofra – Santo Domingo
     
    Was eine gute Nacht doch ausmacht! Einige Stunden Schlaf helfen mir wieder auf die Beine und der Körper erholt sich schnell von den Strapazen. Die Messe vom Vorabend ist ausgefallen, wenigstens für mich, denn ich wache von meinem kurz angedachten Nickerchen nicht mehr auf und schlafe tief und fest bis um 6 Uhr, trotz der 90 Menschen im Saal.
    Frisch und erholt gehe ich ans Werk. Die Strecke von Najéra nach Santo Domingo de la Calzada gilt eine der schönsten bisher. Nur gute, weiche Wanderwege bis auf die beiden letzten Kilometer. Landschaft so weit das Auge reicht mit Fernsicht zu den hohen Bergen.
    Ich bin mit Sara aufgebrochen, einer Australierin. Irgendwann fängt sie an, mir von ihrer Familie zu erzählen. Wir kennen uns schon seit Pamplona. Also hat sie sich das bestimmt überlegt, wem und was sie erzählt.
    Vater Sudanese, Mutter Engländerin, beide ausgewandert nach Australien. Die Mutter bekommt zwei Kinder und der Vater verlässt die Familie nach drei Jahren. Die Mutter steht alleine mit zwei Kindern da. Sara fängt schon mit 12 an, ihr eigenes Geld zu verdienen. Sie schuftet in einer Bäckerei oder teilt Prospekte aus. Sie macht ihr Abitur, jobbt weiter für ihren Lebensunterhalt, vornehmlich als Rettungsschwimmerin. Ein bildhübsches Mädchen mit dunklem Teint, gerade mal 20 Jahre alt.
    Für mich ist sie eine gute Freundin, für ihr Alter sehr klug und selbstständig. Eine junge Frau, die weiß, was sie will.
    Für sie bin ich ein väterlicher Freund, und später sagt sie mir mal augenzwinkernd: „Ich wollte, Du könntest mein Daddy sein.“ Irgendwie fand ich das schön.
    Sie erzählt, wie sich ihre Mutter durchs Leben kämpfen musste und auch heute noch muss. „My Mum is my hero,“ sagt sie mehrmals. Wann habe ich das in Deutschland mal ein junges Mädchen sagen hören? Ich glaube noch nie.
    Ihr Geld für ein einjähriges Studium, Kunst und Fotografie, in Los Angeles hat sie sich selbst verdient, das für die Reise auf dem Camino ebenfalls. Sie muss sparsam leben und freut sich riesig, wenn ich ihr ein Eis oder einen Kaffee spendiere.
    Fünf Stunden geht es stramm voran. Die meiste Zeit schweigend. Pause in Azofra mit Picknick, Obst und einem Magnum.
    Am Nachmittag mieten wir uns im Zisterzienser Kloster „Santa Clara“ ein. Mehrere verschachtelte, kleine Schlafräume mit jeweils 4 Doppelstock-Betten. Obwohl von Nonnen geleitet, schlafen Herren und Damen nicht getrennt. Auch die Klosterdamen haben sich den Allgemeinregeln des Pilgertums angepasst. Es wäre wohl auch organisatorisch gar nicht möglich, nach Geschlechtern zu trennen. Und wozu auch?
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