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Eines Tages geht der Rabbi

Eines Tages geht der Rabbi

Titel: Eines Tages geht der Rabbi
Autoren: Harry Kemelman
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unterstützt die Partei doch auch finanziell.»
    «Nicht wesentlich. Wenn sie ein Bankett veranstalten, kaufe ich einen Packen Eintrittskarten, aber damit hat es sich eigentlich schon. Im übrigen ist Sykes Grieche, er hat früher Skouros geheißen oder so ähnlich.»
    «Was hat das damit zu tun?»
    «Das bedeutet, daß er der Kontaktmann zu einer Minderheitengruppe ist, und so etwas ist für die Regierung unter Umständen nützlich.»
    «Aber wir sind doch auch eine Minderheitengruppe. Du könntest durchaus der Kontaktmann zur jüdischen Gemeinde sein.»
    «Es ist ja nicht nur, daß er Grieche ist, er engagiert sich auch für seine Landsleute. Ich glaube, er war mal Präsident von Ahepa.»
    «Und du warst mal im Vorstand des Tempels.»
    «Vizepräsident. Aber das ist sieben oder acht Jahre her, als wir noch in Boston wohnten. Und richtig engagiert habe ich mich auch damals nicht. Mein Großvater hatte den Tempel praktisch gegründet und war sein erster Präsident gewesen. Und danach hatte über mehrere Wahlperioden mein Vater dieses Amt inne. Es wurde also gewissermaßen von mir erwartet. Wenn ich ehrlich bin, lag der Reiz des Umzugs nach Barnard’s Crossing unter anderem auch darin, daß ich einen Vorwand hatte, das Amt aufzugeben.»
    «Und doch bist du hier gleich im ersten Jahr in die jüdische Gemeinde eingetreten.»
    «Das ist etwas anderes. Es ist die einzige jüdische Organisation am Ort. Hätte ich einen offensichtlich jüdischen Namen wie Cohen oder Levy oder Goldstein, hätte ich mich damit vielleicht gar nicht belastet. Aber Magnuson – das läßt sich nicht festmachen, es könnte ein englischer oder auch ein schwedischer Name sein. Ich wollte vermeiden, daß jemand auf den Gedanken kommt, ich schämte mich meiner Herkunft. Deshalb bin ich in den Tempel eingetreten.»
    «Na schön, aber letztes Jahr hast du dich in den Vorstand wählen lassen. Hast du damit nicht ein bißchen zuviel des Guten getan?»
    Er lachte ein wenig. «Da konnte ich schlecht nein sagen. Warte mal, du warst in Paris, als diese Wegerechtsgeschichte hochkam, ich glaube, ich habe dir nie erzählt, wie das damals gelaufen ist. Mein erster Gedanke war, mich an meine Anwälte in Boston zu wenden. Aber dann dachte ich mir, daß das auch genau der falsche Schritt sein könnte. Sie würden einen Fall für den Obersten Gerichtshof daraus machen, würden mit eidesstattlichen Versicherungen, Niederschriften und Präzedenzfällen beim Magistrat aufmarschieren. Und ich hatte so das Gefühl, daß ich damit nicht weiterkommen würde. Die Magistratsmitglieder sind Hiesige, meist einfache Leute. Einer ist Friseur. Damit hätten wir sie nur aufgebracht. Statt dessen bin ich ins Rathaus gegangen, um einmal selbst die Lage zu peilen. An der Wand hing eine Tafel mit den Namen der Verwaltungsbeamten, und der Stadtsyndikus hieß Morris Halperin.»
    Sie lächelte. «Verstehe …»
    «Er war zufällig im Haus, ich schilderte ihm die Lage und bat, den Fall als mein Anwalt zu übernehmen.»
    «Und?»
    «Er lehnte ab.»
    «Wußte er, wer du bist?»
    «Natürlich, aber er sagte, es sei ein Interessenkonflikt, er könne nicht in einem Fall, in dem er die Magistratsmitglieder vielleicht würde beraten müssen, als mein Anwalt fungieren. Und dann meinte er, ich würde gar keinen Rechtsanwalt brauchen, ich solle nur vor dem Magistrat meine Sache selbst vortragen, das würde den Leuten mehr imponieren, als wenn ich mich von einem Anwalt vertreten ließe. Dann zwinkerte er mir ein bißchen zu und sagte: ‹Und wenn die Herren mich nach meiner Meinung fragen, kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein.›»
    «Das war ja wirklich sehr nett von ihm.»
    «Ja, nicht? Sie haben ihn dann nicht einmal um seine Meinung gefragt, sondern haben einstimmig zu meinen Gunsten entschieden. Nachdem der Beschluß im Mitteilungsblatt veröffentlicht und damit amtlich war, ging ich noch einmal zu ihm. Ich fand, daß ich ihm ein Honorar schuldig war – für seinen Rat, ich möge mir keinen Anwalt nehmen.»
    «Und diesmal war er bestimmt zugänglicher – wollen wir wetten?»
    «Die Wette würdest du verlieren. Er könne sich für den Rat nicht bezahlen lassen, sagte er, da er ihn in seiner Eigenschaft als Stadtsyndikus gegeben habe.»
    «Wie alt ist dieser Halperin?»
    Magnuson überlegte. «So um die Vierzig.»
    «Es ist wohltuend, daß das Gefühl für Sitte und Moral auch bei den Jüngeren noch nicht ganz ausgestorben ist.» Sie warf ihm einen forschenden Blick zu. «Oder – hat die
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