Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eines Tages geht der Rabbi

Eines Tages geht der Rabbi

Titel: Eines Tages geht der Rabbi
Autoren: Harry Kemelman
Vom Netzwerk:
Sache noch ein Nachspiel?»
    Er lachte. «Wie man’s nimmt. Wir unterhielten uns angeregt, und die Rede kam auch auf den Tempel. Und dann fragte er mich aus heiterem Himmel, ob ich etwas dagegen hätte, wenn er mich für den Vorstand nominieren würde.»
    «Einfach so?»
    «Ja. Er wußte natürlich, daß ich in seiner Schuld stand.»
    «Aber du interessierst dich gar nicht für Religion und–»
    «Das habe ich ihm auch gesagt, aber es störte ihn überhaupt nicht. Sehr wenige Vorstandsmitglieder seien religiös, sagte er, bei ihnen bestehe da bestenfalls ein Sinn für ihr kulturelles Erbe und das Gefühl, daß es untrennbar mit der Institution der Synagoge verbunden sei. Es war ihm klar, daß ich ein vielbeschäftigter Mann bin und vielleicht nicht regelmäßig an den Sitzungen würde teilnehmen können. Ich hatte den Eindruck, daß es ihn auch nicht gekümmert hätte, wenn ich überhaupt nicht hingegangen wäre, daß es ihm einfach um meinen bekannten Namen auf dem Briefkopf ging. Also stimmte ich zu. Was blieb mir übrig?»
    «Aber du bist dann doch zu den Sitzungen gegangen, zumindest gelegentlich, nicht?»
    Er lächelte leicht verlegen. «Ein-, zweimal. Ich müßte wohl wirklich öfter hingehen. Sie haben offenbar keine Ahnung von geschäftlichen Dingen, da könnte ich schon einiges zurechtrücken.»
    «Bestimmt. Wie würdest du es anstellen, Präsident zu werden?»
    «Präsident des Tempels? Wozu denn das?»
    «Laß das jetzt erst mal beiseite. Könntest du das Amt bekommen, wenn du wolltest?»
    So gesehen, als Problem der Unternehmens- und Verbandspolitik, ließ sich die Frage ernst nehmen. Er legte den Kopf schief und dachte nach. «Ja, also …»
    «Würdest du mit dem Rabbi reden?»
    «Nein, nein.» Er schüttelte ungeduldig den Kopf. «Er ist nur ein Angestellter des Tempels. Ich könnte wohl … hm … Weißt du, was ich tun würde? Ich würde mit diesem Morris Halperin sprechen.»
    «Weil er dich für den Vorstand nominiert hat?»
    «Nein, weil er sich in der Politik auskennt. Das sieht man schon daran, daß er als Jude zum Stadtsyndikus gewählt worden ist. Ich würde ihn mir als eine Art Wahlkampfmanager nehmen.»
    «Und würde er das machen?»
    «Ich glaube schon. Er ist jung und ehrgeizig. Die Chance einer Verbindung mit mir käme ihm sicher gelegen.»
    «Woher weißt du, daß er ehrgeizig ist?»
    «Würde er sich sonst als Stadtsyndikus zur Verfügung stellen? Finanziell bringt es so gut wie nichts, und er muß das ganze Jahr jeden Mittwochabend für die Sitzungen des Magistrats opfern.» Er lächelte plötzlich. «Außerdem habe ich mir vor meinem zweiten Besuch sein Bankkonto angesehen.»
    «Wie hast du denn das gemacht?»
    «Er hat sein Konto bei einer Filiale meiner Bank in Boston. Du glaubst doch nicht, daß der Geschäftsstellenleiter sich zieren würde, wenn ich etwas Bestimmtes sehen möchte?»
    «Und?»
    Er zuckte die Schultern. «Er schlägt sich so durch, aber goldene Berge verdient er nicht.»
    «Wie ist er denn so? Wie sieht er aus?»
    «Scheint ein anständiger Kerl zu sein. Groß, einsachtzig, würde ich sagen, und massiv, aber nicht dick – noch nicht jedenfalls. Große Nase, breite Lippen, schon ziemlich kahl, aber er hat ein sympathisches Gesicht und lächelt gern.»
    «Sehr schön. Ich werde ihn mal zum Essen einladen.»
    «Wieso das?»
    «Weil er so anständig und hilfsbereit war», sagte sie vergnügt. «Und weil es interessant sein könnte, sich die Sache ein bißchen näher anzusehen. Außerdem brauchst du eine neue Aufgabe, nachdem du die Elechtech Corporation verkauft hast. Du hast doch nichts dagegen?»
    «Es würde mir nicht helfen – nachdem du dir die Sache einmal in den Kopf gesetzt hast.»

3
    Sam Feinberg, der Präsident des Tempels, klein, dick und mit schütter werdender Haarpracht, war anständig, rücksichtsvoll und kompromißbereit. Diesen Eigenschaften verdankte er auch seine Wahl zum Präsidenten nach der katastrophalen Amtszeit von Chester Kaplan und seiner orthodoxen Clique. Er hatte dieses Amt drei Jahre innegehabt, 1980, 1981 und – diesmal praktisch ohne Gegenstimme gewählt – 1982. In den Augen der Reformpartei war er ein moderner Mensch, der sich mit der Einhaltung der Religionsvorschriften nicht großtat. Die «Ultrareligiösen» konnten ihn ebenfalls akzeptieren, weil sie wußten, daß er eine koschere Küche führte, regelmäßig zu den Gottesdiensten am Freitagabend und am Sabbat und gelegentlich auch zum täglichen Minjan kam.
    Als er an
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher