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Eines Tages geht der Rabbi

Eines Tages geht der Rabbi

Titel: Eines Tages geht der Rabbi
Autoren: Harry Kemelman
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siebzehnjähriger Sohn, groß, dünn und eckig, kam ins Wohnzimmer. «Tag, Dad, Tag, Mom.»
    «Warum hast du deine Schwester auf dem Heimweg denn nicht mitgenommen?» wollte der Rabbi wissen.
    «Weil wir gar nicht auf dem Heimweg waren, sondern zu Al Steiner wollten. Und außerdem ist sie die reinste Landplage. Al Steiner hat sich gerade einen Computer angeschafft, den wollte ich mir ansehen. Riesig, sag ich euch. Man kann die Hausaufgaben darauf tippen und alles mögliche drin verbessern, und dann drückt man bloß auf einen Knopf, und er druckt alles automatisch aus, mit Rand und allem. Er hat sogar einen Knopf, mit dem er einem die Rechtschreibfehler korrigiert.»
    «Du hättest sie wenigstens bis zur Main Street mitnehmen können», meinte Miriam.
    «Dann wär sie uns nicht von der Pelle gegangen. Hast du Plätzchen gebacken?»
    «In der Dose sind welche. Du machst heute abend Babysitter bei den Colemans, nicht?»
    «Ja, richtig. Könntest du mich hinfahren, Dad?»
    «Leider nein. Wir erwarten heute abend Besuch. Nimm das Fahrrad.»
    «Ich muß um sieben da sein, und da hab ich gedacht, wenn du zum Minjan gehst …»
    «Bei diesem Wetter gehe ich zu Fuß, ich bin froh, wenn ich mal ein bißchen Bewegung habe. Und wie würdest du dann nach Hause kommen?»
    Jonathan knurrte etwas vor sich hin und verschwand auf seinem Zimmer. Bei den Smalls kehrte wieder Ruhe ein.

2
    Howard Magnuson kam in Sporthemd, blauem Blazer und grauen Sporthosen zum Frühstück in das sonnige Eßzimmer mit dem Blick auf den Hafen von Barnard’s Crossing. Er beugte sich über seine Frau Sophia, gab ihr einen flüchtigen Kuß und nahm dann ihr gegenüber Platz. Er nickte zu dem dritten Gedeck hinüber. «Laura?»
    «Schläft noch», gab seine Frau zurück. «Sie ist heute nacht spät heimgekommen.»
    Das Mädchen – sie stammte aus dem Ort, und ihre Schulung ließ zu wünschen übrig – brachte ihm seine Portion Schinken mit Ei und legte die New York Times , die sie unter den Arm geklemmt hatte, neben seinen Teller. Er dankte ihr mit einem Nicken, schenkte sich aus der schweren, silbernen Kaffeekanne ein, die bereits auf dem Tisch stand, und nahm einen ersten prüfenden Schluck.
    Das Mädchen drückte sich noch am Tisch herum. «Mis’ Hagerstrom sagt, ich soll Sie fragen, ob Sie noch eine Kanne Kaffee wollen.»
    «Nein, das reicht.»
    «Sonst macht sie ihn gleich heiß», sagte sie.
    «Nein, nein, es ist alles sehr schön so.»
    Er war ein gutaussehender Fünfziger mit ergrauendem Haar und freundlichen blauen Augen. Seine Frau registrierte amüsiert, daß das Mädchen ihm einen sehnsuchtsvoll-bewundernden Blick zuwarf, ehe sie widerstrebend in die Küche zurückkehrte. «Sie kann sich wohl nicht trennen», sagte er.
    «Sie schwärmt für dich.»
    «Lächerlich», sagte er mit gespieltem Ärger und geheimer Genugtuung. «Wann ist Laura denn heute nacht gekommen?»
    «Um zwei oder drei, ich weiß es nicht genau. Ich hatte wieder mal eine schlechte Nacht und konnte nicht schlafen. Ich habe sie kommen hören, habe aber nicht auf die Uhr gesehen. Warum?»
    «Warum? Weil sie unsere Tochter ist. Sie ist ein Mädchen.»
    «Sie ist fünfundzwanzig, Howard.»
    «Ja und?»
    «Und sie hat die letzten drei Jahre in England verbracht, und davor war sie im Internat.»
    «Du hast ja recht», sagte er betreten. «Aber trotzdem … Sagt sie dir nie, wohin sie geht?»
    «Manchmal, wenn es ihr gerade einfällt, oder wenn ich sie frage. Gestern war sie in Cambridge. Irgendwas Politisches.»
    «Politik? Soso …»
    «Warum nicht?» Sophia Magnuson war eine hochgewachsene Frau mit langem, schmalem Gesicht, das eher eindrucksvoll als hübsch war. Selbst jetzt, im Morgenmantel, sah sie majestätisch genug für einen Botschaftsball aus. «Du solltest dich auch engagieren, Howard. Nein, ich meine nicht, daß du dich um ein Amt bewerben solltest, aber du könntest deinen Rat zur Verfügung stellen, Einfluß geltend machen. Von einem Mann in deiner Stellung wird das erwartet.» Sie tippte auf die Lokalzeitung, in der sie gelesen hatte. «Hier steht, daß Ronnie Sykes nach Washington berufen worden ist. In einen Ausschuß, der den Präsidenten berät. Warum tritt an dich niemand heran?»
    Er sah auf. «Wahrscheinlich, weil ich nicht politisch aktiv bin. Ronnie Sykes ist im Republikanischen Ausschuß des Staates tätig. Warum interessiert es dich? Willst du nach Washington? Wozu?»
    «Wir würden mal andere Leute kennenlernen. Die Macher, wie man so sagt. Du
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