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Eines Abends in Paris

Eines Abends in Paris

Titel: Eines Abends in Paris
Autoren: Nicolas Barreau
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verzweifelt suchte, sollte mir dieser seltsame Satz wieder einfallen. Er war der Schlüssel zu allem, aber das wusste ich noch nicht, als ich jetzt in einer spontanen Geste meine Hände um die von Mélanie legte. Es war das erste Mal, dass wir uns berührten, und es hätte gar nicht anders sein können.
    »Ach, Mélanie, das haben Sie schön gesagt. Sie sind ja eine Poetin.«
    Sie sah mich an und ihr Lächeln galt wieder mir. Ihre Hände ruhten in meinen Händen, und in ihren Händen hielt sie immer noch den Rotwein, und so saßen wir da und umfassten beide das Glas, als ob es das Glück wäre, welches man wie einen Vogel nur ganz leise und zärtlich halten darf, damit er nicht davonfliegt.
    »Nein, nein, eine Poetin bin ich gewiss nicht. Aber vielleicht ein bisschen nostalgisch.«
    Nostalgisch. Dieses Wort hatte ich lange nicht mehr gehört und es entzückte mich.
    »Aber das ist doch wunderbar!« Ich beugte mich zu ihr und der Rotwein in seiner bauchigen Schale schaukelte ein wenig. »Wo wären wir denn in diesem seelenlosen Universum, wenn es nicht ein paar Menschen gäbe, die die Erinnerung bewahren und die Sehnsucht nach den Gefühlen von einst im Herzen tragen?«
    Sie lachte. »Wer ist hier der Poet?«, sagte sie. Dann stellte sie das Rotweinglas vorsichtig auf dem Tisch ab, und ich ließ bedauernd ihre Hände los. »Es ist so eine Sache mit den Erinnerungen«, sagte sie und schwieg einen Moment. »Sie können einen manchmal traurig machen, auch wenn es schöne Erinnerungen sind. Man denkt gerne daran zurück, sie sind der größte Schatz, den man hat, und doch stimmt es einen immer auch ein bisschen wehmütig, weil etwas unwiederbringlich vorbei ist.«
    Sie legte ihre Wange in die rechte Hand und malte mit dem Zeigefinger der linken kleine Kreise auf die Tischplatte.
    »Tempi passati «, sagte ich ganz philosophisch und überlegte, ob ich es wagen sollte, erneut nach ihrer Hand zu greifen. »Deswegen liebe ich die Filme so. In ihnen wird alles wieder lebendig, wenn auch nur für ein paar Stunden. Und man kann wieder zurück in das verlorene Paradies.« Ich fasste nach ihrer Hand und sie zog sie nicht zurück.
    »Heißt Ihr Kino deswegen so – Cinéma Paradis?«
    »Nein … Ja … Vielleicht.« Wir lachten beide. »Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht genau. Ich müsste meinen Onkel fragen, dem das Kino früher gehörte, aber er lebt leider nicht mehr.«
    Ich hob bedauernd die Hände. Der gute Onkel Bernard!
    Seine wunderbare Zeit im Süden hatte im letzten Spätherbst mit einem Herzstillstand ihr jähes, aber friedliches Ende gefunden. »Das ist ein wirklich guter Wein«, hatte er noch zu Claudine gesagt, als er abends in seinem Korbstuhl auf der Terrasse saß und das Glas gegen die tiefstehende Sonne hielt. »Holst du uns noch eine Flasche, mein Herz?« Als Claudine wiederkam, saß Onkel Bernard mit halb geöffneten Augen zurückgelehnt in seinem Korbstuhl, und es sah so aus, als schaute er in die hohen alten Pinien, deren sommerlichen Geruch er so sehr mochte. Doch er war tot.
    Die Beerdigung fand im kleinsten Kreise statt. Eigentlich waren es nur Claudine, ein Ehepaar aus dem Dorf, mit dem sich die beiden angefreundet hatten, sein ältester Freund Bruno und ich. Meine Eltern, die auf einer Reise in Neuseeland waren, schickten einen Kranz und ein Kondolenzschreiben an Claudine.
    Dennoch war es eine schöne und würdige Beerdigung. So traurig sie auch war. Statt einer Blume warf ich eine alte Filmrolle von Cinema Paradiso in Bernards Grab.
    Ich seufzte, als ich jetzt daran dachte, und blickte in Mélanies große braune Augen, die voller Anteilnahme auf mir ruhten.
    »Auf jeden Fall ist er glücklich gestorben«, sagte ich. »Ich mochte ihn sehr, den alten Onkel Bernard. Früher dachte ich immer, er hätte das Kino nach diesem italienischen Film benannt …«
    »Cinema Paradiso «, ergänzte Mélanie, und ich nickte.
    »Ja, genau. Cinema Paradiso. Es war einer seiner Lieblingsfilme. Aber das Kino gab es schon viel länger als den Film.«
    »Es muss schön sein, so eine kleine Traumfabrik zu besitzen.«
    »Schön und schwierig zugleich«, sagte ich. »Reich kann man damit nicht werden. In meiner Familie waren jedenfalls alle ziemlich entsetzt, als ich meinen gut bezahlten Posten bei einer großen Firma in Lyon aufgab, die Badewannen und Waschbecken nach Abu Dhabi exportierte, mit dem Vorhaben aufgab, ein altes Programmkino wiederzubeleben.«
    Junge, Junge, was redest du da? Willst du ihr jetzt signalisieren,
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