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Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau
Autoren: Karin Fossum
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aufmachte, um Geld an Land zu ziehen.
    In ihrem gefleckten Mantel.
    Johnny Beskow beschloss, im Bett liegen zu bleiben, bis sie sich angezogen hatte. Er hörte das Rauschen der Rohre im Badezimmer, als sie die Wasserhähne aufdrehte. Danach würde sie in die Küche gehen, einen Becher mit kochendem Wasser füllen, Pulverkaffee darin verrühren und dann trinken, im Stehen am Küchenfenster. In der Regel zitterten ihre Hände dabei kräftig. Ihre Wangen waren eingesunken und die Nägel ungepflegt. Man konnte sehen, wie mitgenommen sie war, dass das Leid als chronische Schmerzen bis in alle Gelenke vordrang. Bestimmt hatte sie sich Pläne fürs Leben gemacht. Aber weil sie immer zuerst einen Wodka brauchte, und weil dieses eine Glas Wodka immer zu einem neuen Wodka führte, wurde aus diesen Plänen nie etwas. Stattdessen ließ sie sich in einen Sessel fallen, blieb dort sitzen und grübelte über ihr Elend, denn sie war eigentlich der Meinung, dass sie schön und talentiert war, sie aber niemand richtig verstand. Sie fand, dass das Schicksal gemein und ungerecht war und sie in eine Wüste des Elends gestoßen hatte.
    Wer konnte da verlangen, dass sie wieder aufstand und kämpfte.
    Außerdem gefiel sie sich in ihrem Elend.
    Es verpflichtete sie zu nichts.
    Johnny lag im Bett und wartete. Er hörte, wie Butch durch das kleine rote und gelbe Plastiklabyrinth rannte, die kleinen Füße kratzten über den Kunststoff. Nach einer Viertelstunde schlich er sich ins Badezimmer, zog Jeans und ein T-Shirt an, trank kaltes Wasser aus dem Hahn und verließ die Wohnung. Sie merkte nicht einmal, dass er abhaute, und konnte deshalb auch keine Fragen stellen. Er sprang auf die Suzuki, schaltete und fuhr die Straße hinunter.
    Wahrscheinlich sah sie ihm vom Fenster aus nach.
    Er spürte ihren Blick im Nacken, wie einen Stachel.
    Die Rolandsgate war wie ausgestorben.
    Die kleine Meiner war nicht zu sehen.
    Aber vielleicht stand sie auch hinter einem Fenster und beobachtete ihn, vielleicht presste sie die Stirn ans Glas und flüsterte Flüche und Verwünschungen. Denn er ging davon aus, dass er unter Verdacht stand, was ihre neue Frisur betraf. Er hatte nichts dagegen, den Flüchen ausgesetzt zu sein. War es nicht seine Lebensaufgabe, war es nicht der eigentlich Sinn seines kleinen Spiels, dass die Leute über ihn redeten, dass sie sagten: Dieser verdammte Bengel, wofür hält der sich eigentlich?
    Ich bin Johnny Beskow, dachte er. Ich bin unbesiegbar.
    »Bist du das, Junge?«, rief Henry, als er das Haus betrat.
    »Ja, Opa, ich bin’s.«
    Er blieb stehen und nahm alle Gerüche in sich auf. In Diele und Küche roch es nach Zitrone, aus dem Wohnzimmer nach etwas anderem, vielleicht Möbelpflege.
    »Hat hier jemand saubergemacht?«, fragte er.
    »Mai Sinok war hier«, sagte Henry. »Und heute hat sie mich in die Badewanne gesteckt. Ich werde bis zum Abend nach Fichtennadeln duften.«
    »Aber es ist doch Sonntag«, wunderte sich Johnny.
    Henry Beskow musste husten und würgen. Er hob die gichtige Hand an den Mund.
    »Ich hab es dir doch gesagt, dass sie sonntags kommt«, röchelte er. »Aber die im Büro wissen nicht, dass sie jeden Tag hier ist. Ich stecke ihr ein wenig extra Geld zu, verrat das bloß nicht, dann verliert sie vielleicht ihre Arbeit. Aber komm rein, ich muss dir etwas zeigen. Seit deinem letzten Besuch ist nämlich ein Wunder passiert. Es ist wirklich nie zu spät für so ein altes Wrack wie mich, etwas Gutes zu bekommen.«
    Johnny ging ins Wohnzimmer. Und blieb wie angewurzelt stehen.
    »Sie waren am Freitag hier«, sagte Henry. »Zwei Leute von der Hilfsmittelzentrale. Sie waren beide schwarz wie Kohle, vielleicht waren das ja Tamilen. Aber du weißt ja, schwarze Muskeln sind genauso gut wie weiße. Wenn nicht sogar besser. Und sie brachten eine riesigen Kasten. Komm zu mir, Johnny, nicht so langsam, du bist doch noch jung und frisch. Hat jemand deine Schuhe an den Boden festgenagelt?«
    Johnny ging zum Sessel. Henry sah aus wie immer, in seiner grünen Strickjacke und den karierten Filzpantoffeln. Aber sein Sessel hatte eine Art Auflage bekommen, ein Kissen. Es war fünfzehn Zentimeter dick und hatte die Farbe von Ton.
    Johnny sah sich das frischgelieferte Kissen genauestens an. Es war weich und nachgiebig, als wäre es mit Gel gefüllt. Als er die Faust hineinpresste, hinterließ die eine Delle, die sich langsam wieder füllte. Diese Entdeckung war so faszinierend, dass er das mehrmals wiederholen musste. Es sah aus, als
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