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Eine unbeliebte Frau

Titel: Eine unbeliebte Frau
Autoren: Nele Neuhaus
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»Kannst du ein Taxi zum Flughafen nehmen? Das wird hier eine größere Sache.«
    Pia entfernte sich diskret, damit ihr Chef von seiner FrauAbschied nehmen konnte. Der bisher so unnahbar und perfekt wirkende Hauptkommissar von Bodenstein war also auch nur ein Mensch, der sich beim Anblick seiner ersten Leiche übergeben hatte. Diese Schwäche machte ihn in Pias Augen plötzlich sympathisch.
     
    Die Witwe von Oberstaatsanwalt Hardenbach war nicht in der Lage, mit Bodenstein und Pia zu sprechen, nachdem sie ihr die schreckliche Nachricht vom Freitod ihres Mannes so einfühlsam wie möglich überbracht hatten. Sie hatten auch keine Zeit mehr, darauf zu warten, dass die Frau ihren ersten Schock überwinden würde, denn die Zentrale forderte sie zu einem weiteren Leichenfund an diesem herrlichen Augustsonntag an. Bodenstein ließ Frau Hardenbach und ihre schluchzenden Kinder in der Obhut einer Nachbarin und eines befreundeten Arztes zurück und machte sich mit Pia auf den Weg in den Taunus. Ein junges Pärchen hatte unterhalb des Atzelbergturmes zwischen Ruppertshain und Eppenhain die Leiche einer Frau gefunden. Während der Fahrt telefonierte Bodenstein mit Kriminaldirektor Nierhoff, seinem direkten Vorgesetzten, versorgte diesen mit den notwendigen Details über den Fall Hardenbach und bat ihn, die für ein Uhr anberaumte Pressekonferenz im Frankfurter Polizeipräsidium zu leiten.
    »Ich kann auch alleine nach Ruppertshain fahren«, bot Pia an, als Bodenstein das Gespräch beendet hatte, »die Pressekonferenz ist doch sicherlich wichtiger ...«
    »Nein, nein«, unterbrach Bodenstein sie schnell, »Nierhoff und ich haben in Fällen wie diesen klare Arbeitsteilung vereinbart. Im Gegensatz zu mir mag er das Rampenlicht und macht so etwas gerne. Gerade bei so prominenten . Kunden.«
    »Kunden?«
    Die Andeutung eines Lächelns flog über Bodensteins angespanntes Gesicht.
    »Hört sich doch netter an als ›Leiche‹, oder?«
     
    Eine halbe Stunde später erblickten Bodenstein und Pia kurz vor der Ortseinfahrt von Eppenhain einen Streifenwagen am Straßenrand. Nach einer kurzen Fahrt durch den Wald erreichten sie die Lichtung mit dem Turm, an dessen Fuß ein weiterer Streifenwagen und ein Mercedes Cabrio standen. Bodenstein und Pia stiegen aus.
    »Ah, der Herr Hauptkommissar«, begrüßte sie einer der Uniformierten, ein großer Mann mit Michael-Schuhmacher-Kinn und einem Gesicht voller Aknenarben. »Sie hätten sich den Morgenausflug sparen können. Das war ein Selbstmord.«
    »Hallo, Schöning«, Bodenstein kannte die Bereitschaft zahlreicher Berufskollegen, einen Todesfall vorschnell als einen Suizid oder Unfall abzutun, aus eigener Erfahrung und ging nicht darauf ein.
    Im Schatten der hohen Bäume war es kühl. Das Gras war noch feucht vom Tau der Nacht.
    »Guten Morgen«, sagte Bodenstein zu dem Arzt, der neben der Leiche im Gras kniete und den Gruß mit einem knappen Nicken erwiderte. Die Frau lag auf dem Rücken im Gras, den linken Arm unter dem Körper, die Beine angewinkelt. Das helle Haar breitete sich wie ein Fächer um das bleiche Gesicht, sie hatte die Augen weit geöffnet, ihr Blick war starr und gebrochen. Bodenstein hob den Kopf und blickte den Turm hinauf. Es war ein massives Holzbauwerk, das sich weit über die Kronen der Bäume in den blassblauen Himmel erhob. Pia stemmte die Arme in die Seiten und betrachtete die Tote im hohen Gras eingehend.
    »Suizid?«, fragte sie zweifelnd und blickte zu dem Arzt hinüber, der sich wieder über die tote Frau gebeugt hatte.»Ich weiß nicht. Keine Jacke, keine Handtasche, dafür zehn Zentimeter hohe Absätze. Kein besonders passendes Schuhwerk für einen Waldspaziergang.«
    »Ist ein Selbstmord«, beharrte Schöning impertinent, »klarer Fall.«
    »Das glaube ich nicht«, sagte Pia. »Selbstmörder stoßen sich instinktiv ab, wenn sie irgendwo hinunterspringen, und landen dann ziemlich weit entfernt. Aber diese Leiche hier liegt beinahe direkt unter dem Turm. Sie ist nicht gesprungen.«
    Schöning hob eine Augenbraue, sein überhebliches Grinsen wurde grimmig.
    »Wie sieht es aus?«, erkundigte sich Bodenstein bei dem Arzt.
    »Schlecht«, erwiderte der, »sie ist tot.«
    »Ist ja nicht zu fassen«, versetzte Pia kühl. »Ist das etwa alles, was Sie herausgefunden haben?«
    Der Arzt warf ihr einen gekränkten Blick zu. Er erhob sich, und Bodenstein stellte fest, dass er seiner Kollegin kaum bis zum Kinn reichte. Ein Zwerg, der seine geringe Körpergröße offenbar mit
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