Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Sünde zuviel

Eine Sünde zuviel

Titel: Eine Sünde zuviel
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
hundertmal erfolgreich gewesen war, geschah auch mit Luise Dahlmann. Über eine Stunde operierte Professor Bohne zusammen mit seinem Assistenten Dr. Neuhaus … dann wurden die Augen wieder verbunden, ein lichtundurchlässiger Verband, der einige Tage bleiben mußte.
    In diesen Tagen der schwelenden Hoffnung wechselten sich Dahlmann, Monika und Dr. Ronnefeld am Bett Luises ab. Ihr Gesicht war wieder glatt, die neue Haut war gut eingewachsen. Die Narben und Schnittflächen sollten in einem kommenden Operationsgang entfernt werden. Sie störten noch, aber sie entstellten nicht mehr das Gesicht.
    Es war ein lichter, kalter Nachmittag, ein glänzender Schneetag, an dem die Sonne über den Schnee flimmerte und ihn bläulich leuchten ließ, als Professor Dr. Bohne anordnete, die Binden von den Augen zu lösen. Er holte zu diesem wichtigsten und schönsten Moment im Leben eines Blinden Luise in sein Büro, verdunkelte es durch dicke Portieren und führte Luise an der Hand zu dem ledernen Stuhl, der mitten im Zimmer stand. Im Hintergrund warteten still, atemlos Dr. Ronnefeld, Monika und Ernst Dahlmann. Dr. Neuhaus, der Assistenzarzt, wickelte die Binden ab … einen Augenblick zögerte er, als er die Zellstoffschicht entfernte, die letzte Barriere vor den Augen Luises.
    Sie hatte die Lider geschlossen, als Dr. Neuhaus die Zellstofflage abnahm. Professor Bohne sah sich um. Dann ging er selbst zur Gardine, schob sie einen Spalt auf, nicht viel, nur so viel, daß das Licht ins Zimmer fiel und in ein Halbdunkel tauchte.
    »Bitte – öffnen Sie die Augen«, sagte Professor Bohne mit ruhiger, gütiger Stimme.
    Luises Kopf begann zu zittern. »Ich habe Angst …«, sagte sie leise. »Ich habe plötzlich solche Angst …«
    »Öffnen Sie die Lider ganz langsam und drehen Sie den Kopf nach rechts. Ja, so ist es gut … Und nun sehen Sie mich an.«
    Professor Bohne trat vor Luise. Er hob drei Finger seiner rechten Hand hoch und hielt sie vor ihre Augen. Monika umklammerte Dahlmanns Arm. Jetzt … jetzt wird sie sehen … Auch Dr. Ronnefeld hielt den Atem an … es ist ein seltener Anblick, wenn ein Blinder aufschreit und seine Welt wiedererkennt.
    Langsam öffnete Luise die Augen. Das rechte Auge war noch trüb, das linke hatte etwas Leben, Farbe und Glanz.
    »Was sehen Sie?« fragte Professor Bohne ruhig.
    »Dunkelheit –«
    Es war wie ein Stöhnen. Mit einem fast wilden Satz sprang Professor Bohne zum Fenster, riß die schweren Portieren zur Seite und ließ das volle Sonnenlicht ins Zimmer fluten. Wieder hielt er seine drei Finger vor Luises Augen, ganz nahe, so nahe, daß sie fast ihre Nase berührten.
    »Was sehen Sie –«, fragte er wieder. Aber dieses Mal war seine Stimme rauh und irgendwie brüchig.
    Luise hob den Kopf und starrte mit weitaufgerissenen Augen in das grelle Licht.
    »Ich sehe nichts als einen grauen Schatten …«, sagte sie schluchzend. »Wie dichter Nebel ist es … überall Nebel … Aber es ist keine Nacht mehr … es ist grau … hellgrau … wie eine Milchglasscheibe … hellgrau …«
    In dem sonnendurchfluteten Zimmer war es geisterhaft still. Professor Dr. Bohne hielt noch immer seine drei gespreizten Finger vor Luise Dahlmanns Augen. Er bewegte sie hin und her, als veranstalte er Schattenspiele, er knickte die Finger und ließ sie wieder emporschnellen, sinnlose Bewegungen, denen die trüben Augen nicht folgten. Sie starrten ins Helle, weit aufgerissen, ohne ein Zeichen der Blendung.
    »Schatten bewegen sich –«, sagte Luise leise, als niemand um sie herum mehr sprach. »Schatten im Nebel, Flecken … Ist … ist das der Anfang, Herr Professor?«
    Professor Bohne sah zu seinem Assistenten. Dr. Neuhaus reichte ihm mit bebenden Händen die dunkle Binde. Langsam, fast mitleidig legte Professor Bohne den Verband wieder um die Augen Luises und senkte den Kopf. Dr. Ronnefeld im Hintergrund wandte sich erschüttert ab … Monika Horten hatte ihren Schwager umklammert … Ernst Dahlmann strich ihr begütigend über die hellblonden Haare, immer und immer wieder, den Blick nicht von seiner Frau lassend, die nun wieder mit verbundenen Augen auf dem Stuhl saß, mit zuckenden Schultern und ineinander verkrampften Händen, aber mit einer ungeheuren Tapferkeit.
    »Es bedarf noch einer kleinen Korrektur, gnädige Frau«, sagte Professor Bohne. Er gab seiner Stimme einen sicheren und zuversichtlichen Klang. »Sie sehen schon Helligkeit und nehmen Schatten wahr … das ist ein großer Schritt vorwärts –«
    »Hast
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher