Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Sünde zuviel

Eine Sünde zuviel

Titel: Eine Sünde zuviel
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
schrecklich es ist … sie hat einen ungeheuren Lebenswillen, und Sie, Herr Dahlmann, werden ihr einziger Halt sein. Sie müssen Ihrer Gattin die Augen ersetzen, die Sonne, die Blumen, die Schönheit, die ganze, für sie jetzt im Dunkel liegende Welt. Wir werden hier oft mit solchen Fällen konfrontiert, Sie sind kein Einzelschicksal … und immer müssen wir sagen: Hier hilft nur die Liebe … eine Liebe, die zu den größten Opfern bereit ist.«
    »Das will ich, Doktor. Ich werde Luises Augen sein.« Dahlmann zerdrückte seine Zigarette in der Erde eines Blumentopfes. Es schien ein beliebter Aschenbecher zu sein … unter der Primelblüte häuften sich die Zigarettenreste. »Ich danke Ihnen, Doktor … Wann wird sie entlassen werden können?«
    »Nicht vor zwei Wochen –«
    »Danke, Doktor.«
    Dahlmann sah dem Arzt nach, der in eines der Zimmer trat. Zwei Wochen, dachte er. Zwei Wochen allein mit Monika. In diesen zwei Wochen werde ich die Hölle oder den Himmel erleben … und was es auch wird, ich werde ein Teufel sein … und es hilft nichts, daß ich es weiß –
    *
    In der Nacht nach diesem Besuch küßte Ernst Dahlmann zum erstenmal Monika Horten.
    Sie dachte sich nichts dabei. Sie saß im Sessel und weinte, sooft sie an das zerstörte Antlitz Luises denken mußte. Daß Ernst Dahlmann sie in den Arm nahm und küßte, empfand sie als Trost, als eine schwägerliche Zärtlichkeit, weiter nichts.
    Für Dahlmann war dieser Kuß ein Faß Öl, das man in ein schwelendes Feuer wirft. Er verglühte innerlich, und es bedurfte einer unmenschlichen Anstrengung, sich nach diesem Kuß von ihr zu lösen und den Rest des Abends ein normaler Mensch zu bleiben. Wie erregt er war, erkannte man nur am Zittern seiner Hände, wenn er die Gläser mit Wein auffüllte oder Monika Feuer für die Zigarette gab.
    Unruhig ging er in dem großen Wohnzimmer hin und her, als Monika schon längst im Fremdenzimmer schlief. Ein paarmal stand er vor der Tür des Gastzimmers, die Hand bereits zur Klinke ausgestreckt. Aber zum letzten Schritt fehlte ihm der Mut, so groß seine Leidenschaft war und so heftig es in ihm drängte, fünf Jahre nicht nur zu vergessen, sondern – dieses Gefühl nahm jetzt überhand in ihm – fünf verlorene Jahre nachzuholen.
    Hinzu kam die Angst, er könne abgewiesen werden. Einem Sturm stemmt man sich instinktiv entgegen, dachte er. Und wenn es auch schwer ist, ruhig zu bleiben … diese Liebe muß wachsen, muß ausgesät werden, muß Wurzeln schlagen, muß umsorgt werden, ehe die erste Blüte hervorbricht und Erfüllung verspricht. Luise wird für immer blind sein … was bedeuten da Wochen oder Monate? Einmal wird das Glück in die bittend offenen Hände fallen, die Zeit wird arbeiten und abschleifen wie das Meer, das aus rauhen Steinen runde Kiesel macht. Man muß warten können auf das Glück.
    Warten … Ernst Dahlmann trat hinaus in die Nacht und dehnte sich, wie aus dem Winterschlaf erwacht.
    Wieviel Zeit hat man jetzt, dachte er. So viel Zeit … unbeobachtet und frei. Zeit, sich das große Glück zu erobern … oder zu stehlen. Die Wahl der Mittel würde aus der Situation geboren werden.
    Er sah hinauf zum Fenster des Gastzimmers. Monika Horten schlief noch nicht. Ein schwacher Lichtschimmer war hinter den Gardinen, die Nachttischlampe brannte noch.
    Wir haben Zeit, dachte Dahlmann wieder. Die Hauptsache ist … sie bleibt hier. Sie bleibt bei mir für immer –
    ***
    Dr. Ronnefeld, der Hausarzt, hatte keine Ruhe gelassen. Wochenlang hatte er mit den Kapazitäten der Augenchirurgie korrespondiert, hatte Röntgenbilder eingeschickt, die Krankenberichte der Klinik, Fotos … und immer hatte er die Antwort bekommen: abwarten. Noch ist alles zu frisch. Noch sind die Nerven, ist der ganze Augenkörper zu sehr gereizt durch den Unfall. Auch die verätzte Hornhaut muß erst wieder zur Ruhe kommen, ehe daran zu denken ist, eine Transplantation zu wagen. Aber auch hier ist eine Prognose ausgeschlossen … zu oft hatte man erlebt, daß sich überpflanzte Hornhäute wieder abstießen und dann eine zweite Operation ausgeschlossen war.
    Luise Dahlmann war nach drei Wochen entlassen worden. Dr. Ronnefeld bezeichnete es als ein Glück, daß sie nach der Abnahme der Verbände nicht ihr Gesicht sehen konnte … Keine Haut überzog mehr den schmalen Kopf, sondern ein runzeliges, rosaweißes Etwas mit gelben Flecken bedeckte das Gesicht. Es gab keine Augenbrauen mehr und keine Wimpern … nur die Lippenhaut hatte sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher