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Eine Studie in Scharlachrot

Eine Studie in Scharlachrot

Titel: Eine Studie in Scharlachrot
Autoren: Arthur Conan Doyle
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ich froh – so froh, daß ich vor lauter Begeisterung hätte schreien können. Wenn einer von Ihnen, Gentlemen, jemals etwas sehr begehrt und sich zwanzig lange Jahre danach gesehnt hat – und plötzlich sieht er es in Reichweite, dann wird er meine Gefühle verstehen. Ich habe mir eine Zigarre angezündet und geraucht, um meine Nerven zu beruhigen, aber meine Hände haben gezittert und meine Schläfen gepocht vor Aufregung. Beim Fahren konnte ich den alten John Ferrier und die sanfte Lucy sehen, wie sie mich aus der Dunkelheit anschauen und mir zulächeln, so deutlich, wie ich jetzt Sie alle hier in diesem Raum sehe. Den ganzen Weg sind sie vor mir gewesen, jeder auf einer Seite des Pferds, bis ich vor dem Haus in der Brixton Road gehalten habe.
    Keine Menschenseele war zu sehen und kein Laut zu hören, abgesehen vom Tropfen des Regens. Als ich durch das Fenster geschaut habe, lag Drebber zusammengerollt da und hat geschlafen wie nur ein Betrunkener. Ich habe ihn am Arm geschüttelt. ›Aussteigen, wir sind da‹, sage ich.
    ›In Ordnung, Kutscher‹, sagt er.
    Ich schätze, er hat gemeint, daß wir zu dem Hotel gekommen sind, das er genannt hatte, er ist nämlich ohne jedes weitere Wort ausgestiegen und mir durch den Garten gefolgt. Ich habe neben ihm hergehen und ihn stützen müssen, er war nämlich noch immer ziemlich topplastig. Als wir zur Tür gekommen sind, habe ich sie aufgemacht und ihn ins Vorderzimmer geführt. Ich gebe ihnen mein Wort: Auf dem ganzen Weg sind der Vater und die Tochter vor uns hergegangen.
    ›Verdammt dunkel hier‹, sagt er. Er trampelt herum.
    ›Gleich wird’s hell‹, sage ich. Ich zünde ein Streichholz an und halte es an eine Wachskerze, die ich mitgebracht habe. ›Und jetzt, Enoch Drebber‹, sage ich, drehe mich zu ihm um und halte das Licht vor mein Gesicht, ›wer bin ich?‹
    Einen Moment lang starrt er mich mit blutunterlaufenen, betrunkenen Augen an, und dann sehe ich, wie Entsetzen in ihnen aufgeht, und seine Züge verzerren sich, was mir zeigt, daß er mich erkennt. Mit bleichem Gesicht taumelt er zurück, und ich sehe, wie Schweiß auf seine Stirn tritt, während in seinem Kopf die Zähne klappern. Bei dem Anblick lehne ich mich an die Tür und lache laut und lange. Ich habe immer gewußt, daß die Rache süß sein würde, aber die Befriedigung, die in diesem Moment meine Seele erfüllt hat, habe ich mir nicht erträumt.
    ›Du Hund!‹ sage ich. ›Ich habe dich von Salt Lake City bis Sankt Petersburg gejagt, und immer bist du mir entkommen. Jetzt sind endlich deine Irrfahrten zu Ende, weil einer von uns den morgigen Sonnenaufgang nicht mehr sehen wird.‹ Während ich das sage, drückt er sich noch weiter von mir in eine Ecke, und auf seinem Gesicht kann ich sehen, daß er mich für wahnsinnig hält. Das war ich in dem Moment auch. Der Puls in meiner Schläfe war wie ein Vorschlaghammer, und ich glaube, ich hätte einen Anfall erlitten, wenn nicht aus meiner Nase Blut geschossen wäre und mich erleichtert hätte.
    ›Was denkst du jetzt über Lucy Ferrier?‹ rufe ich. Ich schließe die Tür und halte den Schlüssel vor seine Nase. ›Die Bestrafung hat sich Zeit genommen, aber jetzt endlich hat sie dich eingeholt.‹ Ich sehe, wie die Lippen dieses Feiglings zittern bei meinen Worten. Er würde am liebsten um sein Leben betteln, aber er weiß, daß es sinnlos ist.
    ›Willst du mich ermorden?‹ stammelt er.
    ›Das ist kein Mord‹, antworte ich. ›Ermordet man einen tollwütigen Hund? Welches Mitleid hattest du mit meinem armen Liebling, als du sie von ihrem ermordeten Vater weggezerrt und in deinen schamlosen verfluchten Harem verschleppt hast?‹
    ›Aber ich habe ihren Vater nicht getötet‹, ruft er.
    ›Aber du hast ihr unschuldiges Herz gebrochen‹, schreie ich; ich halte ihm die Schachtel hin. ›Gott soll über uns entscheiden. Such eine aus und schluck sie. In einer Pille ist Tod, in der anderen Leben. Ich nehme die, die du übrig läßt. Wir wollen sehen, ob es auf Erden Gerechtigkeit gibt oder ob wir vom Zufall regiert werden.‹
    Mit wilden Schreien und Bitten um Gnade duckt er sich, aber ich ziehe mein Messer und halte es an seine Kehle, bis er mir gehorcht hat. Dann verschlucke ich die zweite, und wir stehen da eine Minute oder länger und starren uns an und warten auf die Entscheidung, wer von uns leben und wer sterben soll. Ob ich je den Ausdruck vergesse, der in sein Gesicht kommt, als die ersten Schmerzen ihm sagen, daß das Gift in seinem
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