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Eine schnelle Novelle

Eine schnelle Novelle

Titel: Eine schnelle Novelle
Autoren: Paula Fabian
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die Schnürsenkel ab, spritzte Sprühsahne in seinen vollgepackten Tornister und verarbeitete seine ersten Liebesbriefe, die er wie einen Schatz im Bettkasten hütete, zu Konfetti. Als ich gerade, unterstützt von Zwos begeisterten Ausrufen, anfing, Ralfs Kett–Car in seine Einzelteile zu zerlegen, öffnete sich die Haustür. Was dann geschah, lässt sich in kurzen Worten schildern: Meine Mutter stürzte in die Küche, aus der es verdächtig nach verbranntem Plastik roch, Papa stand einfach nur da und war sprachlos – und Ralf heulte. Unnötig zu erwähnen, dass ich eine Menge Ärger plus Stubenarrest bekam, aber trotzdem fühlte ich mich gut. Ich hatte mich zum ersten Mal in meinem Leben gegen Ralf gewehrt, und das hatte ich Zwo zu verdanken. Von diesem Tag an hat Ralf es kein einziges Mal mehr gewagt, meine Sachen anzurühren. Ja, er behandelte mich mit einem gewissen Respekt, fast ehrfurchtsvoll.
    Leider verschwand Zwo sofort nach diesem Ereignis wieder; nachdem sie mir geholfen hatte, mich gegen meinen Bruder zur Wehr zu setzen, gab es offensichtlich keinen Grund mehr für sie, weiter bei mir zu bleiben. Ein paar Wochen lang war ich darüber sehr traurig und redete ständig von Zwo, was meinen Eltern zu denken gab. Ratlos suchten sie mit mir einen Psychiater auf, der irgendetwas von »Überspannte Phantasie« und »Typisches Einzelkindverhalten« faselte. Nach dem Hinweis meiner Eltern, dass ich sehr wohl über einen Bruder verfügte, fiel ihm nichts Schlaues mehr ein. Also schickte er meine besorgten Eltern mitsamt ihrem überspannten Sprössling nach Hause und versicherte, dass sich alles schon von allein regeln würde. Tat es dann auch, denn mit der Zeit verblasste meine Erinnerung an Zwo zusehends, und je älter ich wurde, desto mehr war ich der Überzeugung, mir ihre Anwesenheit nur eingebildet zu haben.
    Das änderte sich allerdings vor gut vier Jahren. Damals saß ich allein bei mir zu Hause und frustete bei einer Flasche Rotwein vor mich hin. Nach abgeschlossenem Schauspielstudium jobbte ich zu der Zeit beim Pizzaservice und kam mir alles in allem doch reichlich unterqualifiziert vor. Nicht, dass mir die Arbeit keinen Spaß gemacht hätte, aber irgendetwas in mir sagte mir, dass ich zu Höherem berufen war, als für 15 Mark pro Stunde italienisches Essen durch die Gegend zu kutschieren. Da aber weit und breit kein Engagement als Schauspielerin in Sicht war, musste ich mir eine Alternative überlegen, um halbwegs würdevoll meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Nur – mir fiel einfach absolut nichts ein. In dieser schweren Sinnkrise meldete Zwo sich wieder zu Wort: »Na, Häschen, hast du mich vermisst?«
    Mein anderes Ich brachte mich auf eine geniale Idee: Ich würde ein Drehbuch schreiben! Nach kurzem gemeinsamen Brainstorming stand fest, dass eine Arztserie genau das richtige sein würde. Also machte ich mich eines Nachts daran, den umwerfenden Dr. Narkose zum Leben zu erwecken.
    Insgesamt war ich mit meinem Entwurf für die Serie ziemlich zufrieden; sehr viel Geistreicheres hatte das Fernsehen meiner Meinung nach auch nicht zu bieten. Von Zwo ausreichend mit moralischem Beistand unterstützt, schickte ich die ersten drei Folgen an die Sunny –Filmproduktion und hielt fünf Monate später einen Vertrag in meinen glücklichen Händen.
    Die ersten paar Wochen lang hatte ich noch weiter beim Pizzaservice gejobbt, aber dann war die Serie so erfolgreich, dass ich hocherhobenen Hauptes meine Kündigung einreichte und meine rasante Karriere begann. Leider bedeutete dies aber auch wieder den Abschied von Zwo, denn nachdem sie mich vor meinem trostlosen Dasein als Pizzabotin gerettet hatte, gab es für sie nichts mehr zu tun.
    Seit drei Jahren flimmerte Dr. Michael Narkose – der Mann, der die Frauen betäubt nun jeden Abend um sieben mit einer Einschaltquote von 4,75 Millionen über die Bildschirme frustrierter Haus– und Karrierefrauen; damit waren wir die unumstrittenen Quotenkönige der Vorabend–Dailys. Und das war größtenteils mein Verdienst …
    »Lob dich selbst, sonst lobt dich keiner«, hatte Zwo mir beigebracht, und sie hatte recht – schließlich rackerte ich mich von früh bis spät ab und saugte mir tagtäglich die wildesten Stories aus den Fingern, um die Zuschauer bei der Stange zu halten. Mittlerweile hatte ich als Chefin des Teams allerdings den angenehmsten Teil der Arbeit: Ich überlegte mir die Handlungsstränge für die neuen Episoden, und sechs weitere Autoren mussten meine
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