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Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Titel: Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.
Autoren: Andrea Camilleri
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sein, daß uns demnächst an einer Kurve zwei oder drei maskierte und bewaffnete Leute anhalten. Erschrecke bitte nicht.«
     »Und wer sind die?« fragte ich und spürte, wie mir noch eisiger wurde.
     »Die sind von der Giuliano-Bande. Du rührst dich nicht, hältst den Mund und tust genau das, was ich dir sage.«
     Schlimmer hätte es nicht kommen können. Giuliano und seine Männer genossen weltweit den Ruf, sehr grausam zu sein (der Bandenchef gab Interviews an Journalisten aus Schweden und den Staaten), sie hatten sogar auf eine unschuldige Menschenmenge geschossen, die den ersten Mai feierte. Wie vorhergesagt machten an einer Biegung zwei vermummte Männer mit Maschinengewehren und Regenmänteln bis zu den Füßen uns ein Zeichen anzuhalten. Don Vicinzino hielt am Straßenrand, bedeckte den Kopf mit einem Tuch gegen den Regen, stieg aus und näherte sich den zweien; sie redeten und redeten und hin und wieder blickten sie in meine Richtung. Es war klar, daß sie über mich sprachen und Don Vicinzino ihnen erklärte, wer ich war.
     Michele Palmieri aus Miccichè behauptet in seinen Pensées et mémoires (Gedanken und Erinnerungen), die er auf französisch geschrieben hat und die 1830 in Paris veröffentlicht wurden, daß er bei einer unerwünschten Begegnung mit Banditen aus Kampanien feststellen konnte, daß diese nicht nur der Abschaum der Menschheit und Trottel waren, sondern obendrein auch schielten. Und den gleichen Defekt hatte auch die Schlampe, bei der sie Unterschlupfgefunden hatten. Da auszuschließen ist, daß alle Schielenden aus Kampanien zu Briganten geworden sind, sieht Palmieri im nachhinein den erlittenen Schock als den Auslöser für diese Giotto-Vision der Gesichter (vielleicht hatte er selbst angefangen zu schielen). Palmieri fügt hinzu, daß ihn überdies dieselbe Totallähmung überkommen habe, wie die Nachtigall beim Anblick einer Kröte. Die beiden Burschen hier waren weder Schieler noch Kröten, und ich konnte mich ehrlich gesagt auch nicht als Nachtigall bezeichnen, doch meine körperliche Reaktion war dieselbe. Nach ein paar Minuten kamen die drei näher. Don Vicinzino öffnete den Wagenschlag auf meiner Seite und sagte: »Setz dir was auf den Kopf und hilf uns.«
     Nur mit äußerster Willensanstrengung gelang es mir, zu tun, was er von mir verlangte. Der Fahrer ließ die Ladeklappe herunter, und, zu den zweien gewandt, fragte er: »Was wollt ihr heute?«
     »Zwei Steigen Meerbarben, zwei von den Seezungen, zwei vom Seehecht und zwei von den Zwergkraken.«
     Chiappàra kletterte auf den Lastwagen, zog die gewünschten Kisten heraus, und wir luden uns je zwei auf die Schultern und machten uns auf den Weg über einen schlammigen Grat bergaufwärts. Ich rutschte zwei-, drei-, viermal aus und schaffte es trotzdem, die Ladung auf den Schultern zu halten. Ich war nämlich überzeugt, würde auch nur ein einziger Seehecht zu Boden fallen, würde der Bandit neben mir mich mit einer Gewehrsalve abknallen. Wir gelangten zu einer Höhle. Darin hockten im Schein einer Petroleumleuchte ein Alter mit langem weißem Bart und zwei junge Burschen, die Karten spielten. Alle hatten ein Maschinengewehr umgehängt.
     »Mmmmh, welch herrlicher Geruch nach frischem Fisch!« meinte der Alte und bot uns ein Glas Wein an. Wir tranken, bedankten uns und kehrten wieder zu unserem Laster zurück. Bergabwärts kam ich ins Rutschen, ich hatte nicht einmal die Kraft, mich gegen das Fallen zu wehren, ja ich verspürte richtige Lust dazu. Mir war speiübel, ich war bis auf die Knochen naß, mit Schlamm verdreckt, stank nach Fisch, und Fischschuppen und Wasser waren mir durch den Kragen unters Hemd gedrungen.
     »So halten sie es immer«, meinte Don Vicinzino, als wir wieder aufbrachen. »Ich gebe ihnen den Fisch, und sie garantieren mir eine sichere Fahrt. Keiner kommt auf die Idee, mir auch nur ein Haar zu krümmen. Dein Vater hat dich bei mir mitfahren lassen, weil er so ruhiger schlafen kann.«
     »Du guter Gott!« platzte ich heraus. »Und an den Schrecken, den ich kriegen würde, an den hat er nicht gedacht?«
     »Natürlich hat er das. Du kennst doch deinen Vater. Als ich ihm sagte, daß es dir angst und bange werden könnte, und zwar so richtig, entgegnete er mir, der Schock würde dich nur groß und stark machen.«

    Apropos Bandit Giuliano: Seine Ermordung, ich plaudere mal aus dem Nähkästchen, war das Ergebnis einer gigantischen Absprache zwischen der Mafia, dem Banditen Pisciotta, Giulianos
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