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Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Titel: Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.
Autoren: Andrea Camilleri
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Dinge beschreiben? Darauf ließ man den Pechvogel einige Tage schmoren, und dann machte sich der Unterhändler wieder auf den Weg zu ihm. Die beschriebenen Stücke entsprachen denen im Besitz des ehrlichen Kaufmanns. Dieser war auch bereit, sie ihm zurückzugeben, doch wünschte er, und das war nur rechtens, daß ihm zumindest die Spesen für den unbedachten Erwerb der Ware zurückerstattet würden. Die Dinge könnten wieder ins Lot gebracht werden, wenn eine Summe zwischen siebzig und achtzig Prozent des Warenwerts auf den Tisch gelegt werde, lautete der Vorschlag des Zwischenhändlers. Dem Unglückseligen blieb nichts anderes übrig als zu zahlen, und er erhielt seine Ware vollständig zurück. Wild kassierte zwei Prozent ein: Ein Prozent vom Bestohlenen und ein Prozent vom Dieb.
     Wild genoß bald den Ruf eines aufrechten und rechtschaffenen Mannes, »er legte sich«, schrieb Defoe mit immer größerer Bewunderung, »das Ansehen eines grundehrlichen Mannes zu«. Das verlor er dann wegen eines ehrgeizigen Expansionsprojekts seiner Gesellschaft, nämlich durch die Einrichtung einer Tochtergesellschaft für die Beschaffung von Waren, was die gut geplante Organisation von Diebstählen auf eigene Faust bedeutete. Die wahren Gründe aber, weshalb Wild ins Gefängnis wanderte und später gehenkt wurde, weiß der Schriftsteller nicht zu nennen; er macht nur vage Andeutungen über gestohlene und nicht zurückerstattete Spitzenwaren. In diesem Zusammenhang fällt mir ein anderer ähnlich gearteter Vorfall ein: Der beliebteste Fernsehmoderator Italiens, Enzo Tortora, wurde mit feinsten Spitzen, die ihm als Präsent zugesandt wurden und die er nicht mehr an den Absender zurückschickte – wie hätte er auch wissen können, daß sein Fan ein Camorrist war? –, übel zu Fall gebracht und zum unschuldigen Opfer eines skandalösen Gerichtsverfahrens gemacht. Was die Verhaftung Wilds angeht, habe ich mich um ein klares Bild bemüht, und kann deshalb schreiben, daß der Übeltäter über eine Absprache zu seinem Nachteil gestolpert ist. Meine Überzeugung entspringt einer Seite aus der Feder Defoes; dort steht geschrieben, daß Wild, um seinen Ruf als unbescholtener Mann zu unterstreichen, der nichts, aber auch gar nichts mit der Unterwelt zu tun hatte, von Zeit zu Zeit mit der gebotenen Vorsicht einen Kleindieb bei der Polizei verpfiff, welche den Armen umgehend verhaftete. So mancher Gauner wurde seinetwegen hingerichtet. Ich weiß nicht, ob zwischen Wild und der Polizei eine regelrechte Übereinkunft bestand, doch zumindest muß es in den Augen der Komplizen von Jonathan so ausgesehen haben, als sie hinter das ungewöhnliche System kamen, das er anwandte, um stets mit blütenweißer Weste dazustehen. Ich halte die Annahme nicht für abwegig, daß das der Auslöser für eine weitere Absprache zwischen den Verbrechern und der Polizei war, um Jonathan Wild endgültig aus dem Weg zu schaffen.

    3.

    Die Wirkung einer kleinen, aber feinen Absprache erfuhr ich in jugendlichem Alter am eigenen Leib. Wir schrieben das Jahr 1947, und ich mußte von Porto Empedocle nach Palermo fahren, um einige Prüfungen an der Universität abzulegen: Das ist eine Strecke von ungefähr hundertfünfzig Kilometern, doch damals brauchte man mit dem Zug beinahe einen ganzen Tag, und auch im Auto war die Reise keineswegs bequemer, stundenlang fuhr man über holprige Straßen quer über die Berge mit Namen wie »Der tote Mann«, »Der Ermordete«, »Der Diebespaß«, die richtiggehend Frohsinn aufkommen ließen. Mein Vater bestimmte, daß ich mit einem seiner Lastwagen mitfahren sollte, der für den Transport von frischem Fisch gemietet war und die Route zwei- bis dreimal pro Woche machte. Wir brachen gegen zehn Uhr abends bei schneidender Kälte auf. Ich war obendrein sehr nervös, denn war man zu nächtlicher Stunde unterwegs, riskierte man mit größter Wahrscheinlichkeit schlimme Begegnungen. Sorgsam legte mir Don Vicinzino Chiappàra, unser guter Fahrer, eine alte Militärdecke über die Beine. Das wirkte beruhigend auf mich, und ich fiel in bleiernen Schlaf. Hinter Lercara Friddi erwachte ich: Es regnete heftig, und wir fuhren sehr langsam; ich spürte, daß Vicinzino äußerst angespannt war. Er hielt das Lenkrad mit nach vorn gebeugtem Oberkörper, als könne er so die Straße besser sehen.
     »Gibt’s was?«
     »Nichts«, antwortete er mir, »aber ich muß dir etwas sagen, worüber auch dein Vater Bescheid weiß: Es kann nämlich gut möglich
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