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Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Titel: Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.
Autoren: Andrea Camilleri
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milder römischer Oktobertag, der richtig Lust auf einen Spaziergang machte. Ich ging gerade durch eine ziemlich enge Straße, als hinter mir die Scheinwerfer eines Autos aufblinkten. Ich quetschte mich an die Hauswand, um den Wagen vorbeizulassen. Doch als die Luxuslimousine auf meiner Höhe war, kam sie sacht zum Stehen, die hintere Wagentür ging auf, und eine sehr kultivierte und charmante Stimme forderte mich auf: ›Doktor Vecchietti, gestatten Sie mir, daß ich Sie nach Hause begleite?‹
    Abzulehnen erschien mir unhöflich. Ich stieg ein, und das Auto setzte sich langsam wieder in Bewegung. Im Innern lag der Duft eines raffinierten Rasierwassers, und die Sitze waren aus echtem Leder. Trotz des schwachen Lichts konnte ich erkennen, daß ich den Mann neben mir noch nie gesehen hatte. ›Kennen wir uns?‹ fragte ich.
    ›Sie mich nicht, aber ich kenne Sie aufgrund Ihres guten
Rufs.‹
›Du guter Gott‹, wehrte ich ab.
    Eine kurze Schweigepause trat ein. Dann kam der distinguierte und höfliche Herr um die Sechzig auf den Punkt: ›Unsere Begegnung verdankt sich nicht dem Zufall. Mein Chauffeur folgt Ihnen bereits, seitdem Sie Ihr Büro verlassen haben. Es war nicht meine Absicht, Sie zu Hause oder an Ihrem Arbeitsplatz zu belästigen. Ich möchte Ihrer geschätzten Aufmerksamkeit lediglich ein winziges Problem unterbreiten.‹
    Er bat mich also nicht um einen Gefallen. Er verhielt sich wie ein echter englischer Gentleman, genauso very english wie der Stoff seines Anzugs es war. Er fuhr fort, ohne mir Gelegenheit zu einer Widerrede zu geben.
    ›Wie ich weiß, haben Sie Ihren Redakteuren Weisungen gegeben, keine weiteren Beiträge über die Beschlagnahmung von Schmuggelzigaretten zu fertigen. Ich möchte Ihnen nun begreiflich machen, weshalb diese Maßnahme am Ende ganz bestimmten Interessen zuwiderläuft. ‹
    ›Sind Sie von der Guardia di finanza?‹ platzte ich ziemlich
unwirsch heraus.
Der Herr sah mich verwundert an.
    ›Ich?! Nein, da sind Sie völlig auf dem Holzweg. Ich werde mein Bestes tun, um die Sache zu erklären. Also gut, die Führung der Guardia di finanza, sagen wir mal, in Barletta, bekommt einen heißen Tip, wie man einen anonymen Hinweis im Jargon nennt, und der enthält so viele Einzelheiten, daß er glaubwürdig erscheint. An einem bestimmten Tag, zur Stunde X in der Nacht, wird soundsoviele Meilen von der Küste entfernt ein Schmugglerschiff auf die Ladefahrzeuge für die Ware warten. Gleichzeitig wird auf dieselbe Art und Weise der Lokalberichterstatter der Nachrichten davon in Kenntnis gesetzt, der so lange drängt und bettelt, bis man ihn an Bord des Schnellboots gehen läßt. Auch er muß ja schließlich seine Arbeit tun, oder nicht? Die Operation verläuft erfolgreich, das Ganze wird gefilmt und übertragen. Und so ist jeder auf seine Kosten gekommen. War das deutlich genug?‹ ›Sie haben klar und deutlich gesprochen‹, erwiderte ich, ›aber ich habe trotzdem kein Wort verstanden.‹
    Geduldig und weiterhin lächelnd begann der Mann von neuem.
    ›Folgen Sie mir bitte ganz aufmerksam. Im Anschluß an eine solche – man kann sagen – brillante Operation erhalten die betreffenden Beamten Lobesbekundungen, Danksagungen und Versetzungen. Voller Zufriedenheit ruhen sie sich ein wenig auf ihren Lorbeeren aus, damit die Schmuggelgeschäfte in der Zwischenzeit in der betreffenden Gegend ungestört weiterlaufen können. Ist es Ihnen jetzt klar?‹
    ›Ganz klar. Wer dabei drauflegt, ist die Zigarettenfirma.‹ Der Herr gestattete sich ein höfliches Lachen.
    ›Sie belieben zu scherzen, oder? Die Sache verhält sich so: Der Fernsehreporter hat Kisten mit Schmuggelware gefilmt, die rigoros neutral hätten sein müssen. In Wirklichkeit aber, welch ein Zufall, steht auf jeder Kiste fett und breit die Marke der Zigaretten. Wenn diese Aufnahmen im Fernsehen ausgestrahlt werden, verehrter Freund, haben sie denselben Unkostenwert, den eine Werbekampagne gekostet hätte.‹ Ich war sprachlos. Unterdessen waren wir in der Straße angelangt, in der meine Wohnung lag. ›Ich wohne Nummer…‹, setzte ich an.
    ›Das wissen wir‹, meinte der Herr und drückte herzlich meine Hand. ›Überlegen Sie es sich gut, Doktor Vecchietti. Stören Sie nicht das Gleichgewicht, machen Sie keine mühsam erzielte Absprache zunichte.‹ ›Absprache?‹
    ›Ja, eine mündliche Vereinbarung, ein Gentlemen’s
Agreement.‹
Wir waren angekommen, und ich stieg aus.«

    Das war ziemlich wortgetreu Vecchiettis
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