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Eine Sacerda auf Abwegen

Eine Sacerda auf Abwegen

Titel: Eine Sacerda auf Abwegen
Autoren: May R. Tanner
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unbewegten Antlitz
zu erkennen, als wäre sie eine leblose Statue. Wie das Marmorbild … Nur
dass dieses nicht lebendig wurde sondern zu Eis erstarrte.
Sid dagegen fühlte sich mehr als lebendig und war ziemlich aufgebracht. Was
sollte diese Farce?
Sie ließ den Löffel klirrend in die Tasse zurückfallen und erhob sich in einer
geschmeidigen Bewegung von ihrem Platz, um auf die Fremde zuzugehen und auf
Armeslänge entfernt vor ihr stehen zu bleiben. Sie zog den Skarabäus aus dem
Ausschnitt der hellgrauen Bluse und ließ ihn schwer auf ihr Dekolleté fallen.
    „Mein Vater
Bertrand hat mir diesen Anhänger geschenkt, der doch eindeutig Ihnen gehört.
Sie sind vor ein paar Tagen einfach im Haus der Lancasters aufgetaucht und haben
mir den Schreck meines Lebens versetzt… Und ich nehme an, dass Sie es waren,
die diese merkwürdigen Briefe an meinen Vater geschrieben hat. Paris wäre nicht
mehr sicher für mich. Ich verlange eine Erklärung, Miss Felix! Ich würde meinen
Verdacht gerne aus Ihrem Mund bestätigt hören.“
Sid empfand einige Genugtuung, als die Lider der Frau kurz nervös zuckten, auch
wenn es nur eine minimal verräterische Bewegung gewesen war. Oder bildete sie
sich das nur ein, weil sie unbedingt eine Antwort wollte?
    „Bertrand St.
Pierre ist Anfang des Jahres verstorben, Juno.“, füllte Nicos Flüstern die
eingetretene Stille, die nur durch das Knistern des Feuers unterbrochen worden
war. Man hörte nicht einmal das Atmen der Frauen.
    Juno nahm
einen tiefen Atemzug und schloss kurz die Augen, als sie sie wieder öffnete,
kam es Sid vor, als wären sie von einem feuchten Schimmer überzogen.
„Dieser Anhänger wird wie ein Fluch auf dir lasten. Du solltest ihn so schnell
wie möglich ablegen, wenn es nicht schon zu spät dafür ist, da du dich ja schon
in der Gesellschaft der Immaculates aufhältst!“, sprach die Frau unvermittelt
und mit einer zugrunde liegenden Bitterkeit, die von jahrelangem Leid kündete.
    Sid
schüttelte den Kopf: „ Pas pour moi! Ich empfinde ihn als Segen, auch
wenn ich nichts über seine Bedeutung wusste.“ Ihre grauen Augen blitzten
trotzig und verrieten jedem ihren inneren Aufruhr. Sie war eben nicht der Typ,
der seine Gefühle hinter einer Maske der Teilnahmslosigkeit verbergen konnte
oder wollte.
    Juno lächelte
schmal: „Wie schön für Sie! Dann sollten Sie mir danken, dass ich diesen Brief
an Ihren Vater geschrieben habe. Wer weiß, was Ihnen in Paris zugestoßen wäre.“
Sid wandte sich enttäuscht ab und begab sich zurück an ihren Platz, weil sie
nicht wusste, wie sie mit dieser eisigen Mauer umgehen sollte, die die Frau
umgab, die anscheinend ihre Mutter war. Die Ähnlichkeit war vorhanden. Der
Schwung der Wangenknochen, die Form der Augen, die feine Nase… Und die goldenen
Haare, die im Sonnenlicht unglaublich glänzten oder im Feuerschein
rötlich-goldene Reflexe aufwiesen. Müde ließ sich Sid auf ihren Stuhl fallen
und zuckte hilflos mit den Schultern.
Was hätte sie erwarten sollen? Eine herzliche Umarmung für die im Stich
gelassene Tochter?
    Nico schenkte
ihr ein aufmunterndes Lächeln und erhob sich dann von ihrem Platz, sie schritt
allerdings zum Kamin, wo sie in die Knie ging und ein Holzscheit vom
bereitstehenden Stapel in die Flammen warf. Sie verharrte in dieser Position,
als wollte sie ihrer Gesprächspartnerin mit dieser Haltung beweisen, dass man
sie nicht fürchten brauchte.
„Juno…? Muss wirklich ich es sein, die Sidonie erklärt, was damals passiert
ist? Ich sehe die Bilder in den Flammen tanzen… Verdient sie nicht eine
Erklärung aus Ihrem Mund? Immerhin haben Sie das Kind unter Schmerzen geboren,
allein in einem Hotelzimmer in der Stadt des Grauens… N’ est-ce pas? “
    Nico warf der
Frau an der Tür einen kurzen Blick über die Schulter zu, deren Schilde für sie
leicht einzunehmen waren, auch wenn sie vom Gegenteil überzeugt war. Manasses
Felix hatte einfach nicht tief genug geblickt. Vielleicht vermochte das kein
Mann oder einfach kein Immaculate ohne die Vorerfahrung als gewöhnlicher
Mensch.
Sid erschauerte bei der Vorstellung, dass Nico die Wahrheit gesagt haben
könnte. Und aus welchem Grund sollte sie lügen? Sie sah eben Dinge, die anderen
nicht zugänglich waren. Schrecklich. Allein die Andeutung über die Umstände
ihrer Geburt…
In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken, es gab so viele Möglichkeiten und
sie wusste einfach nicht genug über diese Welt, um die richtigen Schlüsse zu
ziehen.
    „
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