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Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Titel: Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)
Autoren: Margarete Mitscherlich
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einen erheblichen Affront sehen würde. Auch scheint es Deutsch nicht besonders merkwürdig berührt zu haben, dass Freud ihr bereits während dieses einen Jahres der Lehranalyse Patienten überwies. Durch das von Kurt Eissler zu Recht scharf kritisierte Buch von Paul Roazen Brudertier [51] ist bekannt geworden, dass bereits in diesem ersten Jahr Viktor Tausk von Freud an Helene Deutsch überwiesen wurde. An wen, so fragt Eissler, hätte aber Freud, in jener Zeit und angesichts der geringen Zahl an Psychoanalytikern, Tausk übergeben sollen? In der Tat, die Situation damals unterschied sich von der aktuellen erheblich, was aber die Lage von Deutsch nicht weniger schwierig erscheinen lässt. Tausk nutzte bekanntlich seine Analyse bei Deutsch, von der er wusste, dass sie von Freud analysiert wurde, dazu aus, sein heftiges Ressentiment Freud gegenüber loszuwerden. Dementsprechend wurde auch seine Analyse abgebrochen, nachdem Freud seine analytische Arbeit mit Helene Deutsch beendet hatte. Deutsch war also manchen Kränkungen und Leiden durch ihren Vater, ihren väterlichen Geliebten und ihren Analytiker ausgesetzt, die sie aber alle entschuldigte oder mit dem Mantel der Liebe zudeckte. Welch’ Wunder also, dass ihre Aggressionen und Rivalitätsbedürfnisse Frauen gegenüber dann um so stärker zutage traten.
    Verglichen mit den autobiographischen Anteilen in Psychologie der Frau hat in den Memoiren der alten Frau vieles seine ursprüngliche Bedeutung verloren, zumindest hat sich das subjektiv Wichtige, die – psychoanalytisch ausgedrückt – psychische Besetzung der Themen und menschlichen Objekte, verschoben. Eines scheint sich jedoch zeitlebens nicht verändert zu haben: Helenes Schuldgefühle und ihre Trauer darüber, sich in seinen ersten Lebensjahren nicht genügend um ihren Sohn gekümmert zu haben. Sie glaubte, sich ihrem Beruf widmen zu müssen, und überließ ihn einer Kinderschwester, die sich auch als seine Mutter fühlte und sich seiner ganz bemächtigte. Helene selber spielte in der Kinderstube die Rolle eines mehr oder weniger wohlgelittenen Gastes. Noch in hohem Alter meint sie, ihr sei damit etwas entgangen, das sich nicht mehr nachholen ließ. Diese Trauer, sich selber um etwas Unwiederholbares und Unersetzliches gebracht zu haben, mag dazu beigetragen haben, dass sie in ihrer Theorie die Mutterschaft als den Höhepunkt im Leben der Frau sieht. Beruf und Ehe vermochte sie relativ gut miteinander zu verbinden, die Verbindung von Beruf und Mutterschaft dagegen blieb für sie ein nicht zu lösender Konflikt.
    Sie hatte immer wieder das Bedürfnis, für längere Zeit von zu Hause fortzugehen, was auch längere Trennungen von ihrem Sohn mit sich brachte. Meines Erachtens verbirgt sich hinter ihrem Verhalten, das Konflikte heraufbeschwört, die so nicht hätten durchlebt werden müssen, ihr Masochismus, d.h. ihre Schuldgefühle, die der Hass auf die eigene Mutter unbewusst in ihr erweckte. Sie durfte sich über Jahre nicht gönnen, was sie ihrer eigenen Mutter, indem sie ihr mit Ablehnung begegnete, verweigert hatte: Freude an der Beziehung zu ihrem Kind. Wenn heutzutage die Feministinnen Helene Deutsch als Vertreterin einer reaktionären Frauenideologie – mit der Idealisierung der Mutterrolle im Zentrum etc. – ansehen, sollten sie nicht vergessen, wie sehr solche Vorstellungen einerseits zeittypisch sind, andererseits von der persönlichen Lebensgeschichte geprägt werden.
    Helene Deutsch kann gewiss nicht zu den konservativen oder gar reaktionären Frauengestalten ihrer Zeit gerechnet werden. Vielmehr gehörte sie zu den Frauen jüdisch-polnischer Herkunft aus gebildeter, gutbürgerlicher Familie, die sich früh für eine sozialistisch inspirierte Veränderung der Gesellschaft einsetzten. Rosa Luxemburg, Angelica Balabanoff, Bertha v. Suttner waren ihre Vorbilder. Es ist auch bekannt, dass gerade die Frauen östlicher Herkunft, Russinnen, Polinnen, wie eben Luxemburg und Balabanoff, [52] sich im Gegensatz zu ihren Geschlechtsgenossinnen im Westen viel weniger um den Feminismus als um die sozialistische Revolution kümmerten. Sie hielten es expressis verbis für Energieverschwendung, sich für die Frauenbewegung einzusetzen. Für sie hätte das geheißen, sich mit kleinlichen politischen Auseinandersetzungen zu befassen, anstatt alle Kraft auf den revolutionären Kampf zu konzentrieren. Balabanoff und mit ihr Deutsch glaubten, dass sich die Erkämpfung der Frauenrechte von den allgemeinen
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